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Tuch mit Botschaft: Gerwald Claus-Brunner trägt Palästinensertuch - auch im Plenarsaal.

© dapd

Kontrapunkt: Realpolitik statt Kopftuchstreit

Mit der Diskussion um das Palästinensertuch des Gerwald Claus-Brunner bekommt die Kopftuchdebatte eine neue Facette, meint Christian Tretbar. Dabei sollte es eigentlich um die Frage gehen, wofür die Piraten eigentlich stehen - außer für Transparenz.

Immer wieder dieses Kopftuch. Dieses vermaledeite Ding. Trägt sie Kopftuch oder nicht – das war bisher bei Migrantinnen die Gretchenfrage, an der abgelesen werden sollte, wie sie zu ihrem Glauben stehen. Ist sie am Ende eine Radikale? Jahrelang gab es Streit darum – der Kopftuchstreit ist mittlerweile ein gängiger Begriff.

Jetzt bekommt er eine neue Facette. Es geht irgendwie auch um den Glauben. Allerdings weniger religiös. Eher politisch. Oder auch nicht. Es ist verwirrend. Sebastian Nerz, Chef der Piratenpartei hat im Tagesspiegel-Interview gesagt, dass man aufpassen müsse, was man beim Thema Extremismus so sagt. Es gebe politische Themen, die emotional sehr aufgeladen sind. Kopftücher? Hüte? Nein. „Immer wenn wir über Israel und israelische Politik diskutieren“, sagte Nerz im Interview. Vermutlich hat er recht, aber es geht noch besser. Wir werden richtig emotional, wenn es um Kopftücher geht.

Der Berliner Piraten-Abgeordnete Gerwald Claus-Brunner erlebt das zurzeit. Denn bei ihm kommen gleich zwei Sachen zusammen. Klar, die orangefarbene Latzhose und das Kopftuch sind eine fiese Mischung. Aber um die geht es gar nicht, es geht um das Muster. Denn es ist nicht irgendein Piratenkopftuch mit lustigem Totenkopf – den würde das Abgeordnetenhaus aushalten. Aber ein Palästinensertuch!?

Charlotte Knobloch, ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, hält das für einen Ausdruck „antijüdischer Gesinnung“. Claus-Brunner weist das zurück. Die Fronten sind mal wieder verhärtet. Wie so oft steckt hinter dieser vermeintlichen Petitesse natürlich ein Stück Wahrheit. Es gehört einfach zum politischen Kanon in Deutschland, dass man sein Verhältnis zu Israel, zum Nahost-Konflikt klärt. Es ist letztlich eine Frage der Regierungsfähigkeit in Deutschland. Zu recht. Das heißt nicht, dass man sich auf die eine oder andere Seite schlagen muss. Aber gut, ein Palästinensertuch ist zumindest, man kann es drehen oder wenden wie man will ein erstes Zeichen.

Das war es dann auch. Vielleicht braucht Claus-Brunner das Ding ja auch nur aus einem Grund, für den das Tuch durchaus auch da ist: um die Haare zu verbergen. Man glaubt gar nicht, was alles passieren kann, wenn sich die miesen kleinen oder langen Haare in so einem Computergehäuse verfangen. Das verstopft die Belüftung. Und wer will das schon.

Vielleicht hat Claus-Brunner ja Glück, irgendwann liegt das Tuch im Haus der Geschichte neben den Turnschuhen von Joschka Fischer, während Claus-Brunner selbst im Nahen Osten in diplomatischer Mission unterwegs ist – oder zumindest mit den dann Regierenden twittert. Dann könnte er auch seine Latzhose anbehalten. Aber wer weiß, vielleicht ist es am Ende sogar eher die Latzhose, die alle so sehr irritiert, dass der eigentliche Konflikt vergessen geht und Israelis und Palästinenser geschockt Frieden schließen. Den Anzugträgern ist das ja noch nicht gelungen. Aber, gut, wenn dem so wäre, dann würde die Hose auch ins Haus der Geschichte kommen.  

Solange es noch nicht soweit ist, kann man sich ja vielleicht wieder der Realpolitik hingeben – immerhin haben die Piraten bald Bundesparteitag. Dann darf man mit Fug und Recht fragen, wofür sie eigentlich stehen – außer für Transparenz. Ganz unabhängig von der Frage, wie viele Kopftücher durch den Saal laufen. Wenn wir das schaffen, dann Hut ab!

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