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Der Koran in deutscher Fassung.

© dpa

Salafisten: Wer den Koran verteilt, hat das Recht dazu

Auch Muslime dürfen in Deutschland für ihre Religion werben. Die Koran-Verteilung der Salafisten wird die freiheitlich-demokratische Grundordnung schon nicht zum Einsturz bringen.

Vielleicht sollte man erst einmal froh darüber sein, dass die Hysterie nicht über das Maß hinausgeht, das die Mediengesellschaft nun einmal mit sich bringt. Zwar wird gegen die Koran-Stände, die an diesem Einkaufssamstag an fast 40 Orten in ganz Deutschland drohen, ordentlich verbal aufgerüstet. Aber der eine und die andere, auch in den Parteien, scheint erkannt zu haben, dass Heilige Schriften, nicht einmal die des Islams, schlecht geeignet sind, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zum Einsturz zu bringen.

Natürlich kann es keinen Freibrief für Leute geben, die sogenannte Heilige Krieger ausbilden, Gewalt auch nur befürworten oder zu ihr aufstacheln. Dafür gibt es, zum Glück, Strafgesetze. Aber das scheint einigen Stimmen im Anti-Koran-Chor nicht zu genügen. Es komme ja nicht nur auf das bloße Verteilen des Buches an, sondern auch, wer dahintersteckt, heißt es sogar aus Kirchenkreisen.

Ein Salafist verteilt ein kostenloses Koranexemplar in der Fußgängerzone von Offenbach am Main.
Ein Salafist verteilt ein kostenloses Koranexemplar in der Fußgängerzone von Offenbach am Main.

© dapd

Schon falsch. Das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht, seine Religion zu leben, hat in einem liberalen Rechtsstaat jede und jeder, mögen sie anderen Mitmenschen, politisch, religiös, vielleicht auch ästhetisch noch so unangenehm sein. Der Missionseifer der Zeugen Jehovas mag lästig sein, viel schlimmer wäre es, in einem Staat zu leben, der das Klingeln an fremden Haustüren verbietet.

Womöglich bemisst sich gerade am Maß des Widerwillens die Liberalität einer Gesellschaft. „Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden“: Rosa Luxemburgs Satz war vor gut zwei Jahrzehnten der Schrei der DDR-Bürgerrechtsbewegung. Schon vergessen? Auch eine Demokratie, die sich für gelungen hält, darf ab und zu an diesem Satz Maß nehmen, wenn sie eine bleiben will.

Wenn Rechte davon abhängen, ob ihre Träger die richtige Geisteshaltung, Moral, Herkunft mitbringen, sind sie keine mehr. Ein Staat, der seinen Bürgern in die Köpfe gucken will, ist kein liberaler. Er hat sie an ihren Taten zu messen, nur die werden bestraft – wenn sie denn Gesetze brechen. Die Gedanken sind aus gutem Grund frei. Wem das nicht passt, wirkt an der Zerstörung jener Verfassung mit, die er zu schützen behauptet.

Noch aus einem anderen Grund täte mehr Gelassenheit mit den Bücherständen der Salafisten gut. Der Kurzschluss „Koran und Extremismus“ bewirkt in einer neuen Spielart wieder jene symbolische Ausbürgerung, an die sich Muslime nicht nur in Deutschland seit dem 11. September 2001 gewöhnen mussten. Wieder bekommen „die Anderen“ ihr Warnetikett aufgeklebt: Ihr gehört nicht dazu. Und alle Erfahrungen in jenem vergangenen Jahrzehnt zeigen, dass dies – es wäre schlimm genug – nicht nur Muslime trifft, sondern alle, die die Gesellschaft mit ihrer Reaktion auf Hautfarbe, Sprache und Religion als anders ausschließen.

In einem Land, das bereits zu einem Fünftel nicht mehr urdeutsch ist und in der eine immer noch sehr hohe Zahl derer, die hier lange leben oder geboren wurden, kein Wahlrecht hat, ist das gefährlich. Vielleicht gefährlicher als geschätzte 4000 Salafisten.

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