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Thilo Sarrazin.

© AFP

Meinungsfreiheit: Sarrazin-Debatte: Die Eliten stehen gegen die Bürger

Die Bürger haben ein feines Gespür dafür, ob jemand mundtot gemacht werden soll. Der Fall Sarrazin ist noch nicht zu Ende. Gewinner gibt es bisher keine, Verlierer schon. Ein Kommentar.

An erster Stelle hat die Bundesbank verloren. Und das nicht wegen ihres angeblichen Ansehensverlustes durch die umstrittenen Thesen eines ihrer Vorstandsmitglieder, sondern wegen ihrer mangelnden Unabhängigkeit, die so zutage kam. Diese Unabhängigkeit gehörte zu den Wesensmerkmalen der Bonner Republik und wurde von Kohl und Weigel nicht immer zur Freude unserer Partner an die neue Europäische Zentralbank weitergereicht; sie ist seit ein paar Tagen Geschichte.

Die Kanzlerin hat dabei wieder einmal bewiesen, dass ihr die Traditionen der alten Bundesrepublik Hekuba sind. Die Folgen sind kaum absehbar. Denn wie soll man künftig noch der Autorität einer Institution in Sachen Geldpolitik vertrauen, wenn sie sich schon in einer solchen, sie allein betreffenden Personalfrage den Weisungen der Politik unterwirft. Der zweite Verlierer heißt Christian Wulff. Es wäre seine Aufgabe gewesen, vorurteilslos zu prüfen, ob das Abwahlbegehren des Bankvorstandes berechtigt und vor allem juristisch haltbar ist. In dem er schon vor dem Rausschmiss zu erkennen gab, dass er einen solchen richtig und gut fände, hat er seine Autorität verspielt. Vor jedem deutschen Gericht würde der davon Betroffene mit dem Antrag auf Befangenheit reagieren.

Zu den Verlierern gehören aber auch all jene, die offensichtlich erst der sarrazinschen Provokationen bedurften, um ihrer Distanz zu den von ihnen Regierten gewahr zu werden. Der alte sozialdemokratische Fahrensmann Dressler hat es bei Frank Plasberg auf den Punkt gebracht: In den 70er und 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts war es in der SPD unmöglich, Mehrheiten für eine Politik zu organisieren, die Migranten zum Erlernen der deutschen Sprache und der Annahme der deutschen Leitkultur verpflichtete.

Was in jedem Einwanderungsland einschließlich Israels für Neuankömmlinge ein Muss ist, degenerierte in Deutschland zum verschämten Wenn-es-euch-gefällt. Es war eine Haltung, die möglichst viel „verdorbenes“ Deutschland in anderen Kulturen auflösen wollte. Es mag eine unbequeme Einsicht sein, aber man kann von Migranten nicht verlangen, was man selbst nicht für wichtig und wertvoll hält: die eigene Sprache, Kultur und Lebensart. Was in den Anfangsjahren der Republik richtig und notwendig war – die Prüfung alles Deutschen auf seine mögliche NS-Geneigtheit – ist inzwischen zum Kampfmittel in der politischen Auseinandersetzung verkommen nach dem Motto: Wenn es gelingt, den Gegner in die Nähe des Nationalsozialismus zu rücken, hat man gewonnen und muss sich mit seine Argumenten nicht mehr auseinandersetzen.

Man muss nicht jeder provokanten These und jeder gewagten Schlussfolgerung Sarrazins zustimmen, um dieses Buch für einen wichtigen Diskussionsbeitrag zu einem Thema zu halten, das den Menschen auf den Nägeln brennt und für das die Politik bis heute keine Lösung gefunden hat. Wieder einmal wird nur über den Autor und die Zulässigkeit einzelner Formulierungen gestritten, anstatt über die Sache selbst. Und wieder stehen die politischen Eliten von links bis rechts auf der einen und die Bürger in ihrer Mehrheit auf der anderen Seite. Ob es nun 95, 90 oder 70 Prozent sind, die den Thesen und Schlussfolgerungen Sarrazins zustimmen, jedenfalls sind es zu viele, um dagegen auf Dauer Politik zu machen. 65 Jahre nach dem Ende des NS-Regimes reicht es nicht mehr aus, unbequeme Wahrheiten mit dem Hinweis auf Auschwitz zu unterdrücken. Denn die Bürger haben ein feines Gespür dafür, ob jemand mundtot gemacht werden soll. Die Causa Sarrazin könnte am Ende viel mehr als nur die Autorität von Merkel und Wulff erschüttern.

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