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Schengen-Abkommen: Politik der Schlagbäume

Deutschland und Frankreich wollen die Reisefreiheit in Europa zumindest teilweise einschränken. Doch eine Politik der gegenseitigen Abschottung würde in Europa mehr zerstören als nur das Schengener Abkommen.

Von Hans Monath

Es ist noch nicht lange her, da verteidigte die Bundesregierung die bedrohte Freizügigkeit in Europa empört gegen deren schlimme Feinde. Kaum hatte die Regierung in Kopenhagen im Sommer 2011 unter dem Druck von Rechtspopulisten dauerhafte Kontrollen an den dänischen Grenzen beschlossen, verurteilte der deutsche Außenminister diesen Angriff auf das Schengener Abkommen scharf. „Das ist keine gute Entwicklung“, erklärte Guido Westerwelle (FDP) und warnte vor einer „Renationalisierung“ Europas.

Nur neun Monate später bemüht sich dieselbe Berliner Regierung, für die Westerwelle damals sprach, im Schulterschluss mit Paris nun selbst darum, den Spielraum für die Einführung nationaler Grenzkontrollen zu erweitern und die Reisefreiheit zumindest zeitweise zu stoppen. Auch wenn der Außenminister dazu wieder laut vom Glück der Europäer schwärmt, sich frei und unkontrolliert zwischen Warschau und Lissabon bewegen zu können – seine Regierung muss sich nun genau jene Vorwürfe anhören, die Westerwelle damals selbst in die Welt setzte: Populistisch und europafeindlich sei die Attacke auf Schengen, schäumt die deutsche Opposition. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) gehe es bei dem deutsch-französischen Vorstoß, so lautet der Vorwurf, nur um Wahlkampfhilfe für Nicolas Sarkozy.

Der Zeitpunkt der Initiative passt tatsächlich gut in die Strategie des französischen Präsidenten. Mit seinen Ankündigungen, die Einwanderung drastisch zu verringern und zeitweise aus dem Schengen-Raum auszuscheren, buhlt Sarkozy um rechtsradikale Wähler. Und trotzdem geht es in dem aktuellen Grenzstreit um mehr als um Stimmungsmache und Wahlkampfhilfe.

Denn der Umbruch in der arabischen Welt verstärkt den Andrang von Flüchtlingen nach Europa. Die landen zwar zunächst in den EU-Ländern am Mittelmeer. Aber auch die übrigen europäischen Staaten müssen reagieren, weil die Aufnahmeländer die Last nicht alleine tragen wollen. Im vergangenen Sommer erlaubte die italienische Regierung Tausenden von afrikanischen Flüchtlingen die Weiterreise, um den Rest Europas zum Handeln zu zwingen. Zu den Realitäten europäischer Flüchtlingspolitik gehört freilich auch die Tatsache, dass die damalige Regierung in Rom die Probleme bewusst dramatisierte. Ganz anders hatte Deutschland gehandelt, als es nach dem Zerfall von Jugoslawien Hunderttausende von Kriegsflüchtlingen aufnahm.

Im Gegensatz zu Dänemark im vergangenen Jahr schaffen Frankreich und Deutschland nun nicht im nationalen Alleingang Fakten. Die Reform des Schengener Abkommens wollen sie nicht gegen Europa, sondern innerhalb der EU-Gremien vorantreiben. Der Weg ist verträglicher, die Absicht bleibt eine ähnliche. Eine Abkehr vom Geist von Schengen wird dadurch nicht besser, dass eine Mehrheit der EU-Staaten sie beschließt.

Es gibt leider nicht den Wunderhebel, mit dem die EU die soziale Misere in vielen nachrevolutionären arabischen Ländern schlagartig verbessern könnte. Das heißt: Flüchtlinge aus diesem Raum werden weiter kommen. Wenn Länder, die nicht ans Mittelmeer grenzen, ihre Hilfe verweigern, wird das Rom oder Athen erst zu Trotzreaktionen verleiten und dann schnell dazu führen, dass an den Grenzen in der Mitte des Kontinents die Schlagbäume wieder aufgebaut werden. Eine Politik der gegenseitigen Abschottung aber würde in Europa mehr zerstören als nur das Schengener Abkommen.

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