zum Hauptinhalt
Die "Berliner Liste" ist keine harmlose Kritik an der Gentrifizierung, sondern eine Warnung für die gesamte Stadtgesellschaft.

© dpa

Schwabenhatz und "Berliner Liste": Fremdenfeindlichkeit unter dem Deckmantel der Kiezverteidigung

Berlin verändert sich so schnell, wie seit dem Mauerfall nicht mehr, die Umbrüche sind für alle spürbar. In solch einer Atmosphäre findet der Gewaltaufruf auf der "Berliner Liste" Resonanz und Verständnis - und sollte doch als Warnung für alle verstanden werden.

Sie kommen in der Nacht. Ihr Ziel: „bunte, auffällige, gute Aktionen“. Das Ergebnis: verrußte Fassaden, zerschlagene Scheiben oder zerstörte Baugeräte. Es ist die Spur eines angekündigten Terrors: Auf der „Berliner Liste“ stehen rund 100 Bauprojekte, auch Hausverwaltungen oder Bauunternehmen, die „Motoren der Verdrängung“ sein sollen. Dazu Gerichte, Sozialämter oder Jobcenter, deren Mitarbeiter nur befehlshörige „Schreibtischtäter“ für „Profitinteressen“ sind. Seit Auftauchen der Liste Ende April zählte die Polizei 17 Anschläge, auch gegen Jobcenter und Amtsgerichte. Vergangene Woche gab es einen Anschlag auf ein Apartmenthaus in Mitte. Auch das Sozialamt Wedding, wo es Donnerstag brannte, stand auf der Liste.

Da schwelt etwas, was nicht allein die Polizei beschäftigen wird, sondern die ganze Stadt, falls die Offensive der gewaltbereiten Linken die gleiche Zündwirkung entwickelt wie vor Jahren die Autobrandstiftungen. Die damalige Welle von hunderten Bränden – auch durch unpolitische Trittbrettfahrer – konnte 2011 nur mit einem monatelangen massiven Einsatz eingedämmt werden. Damals trug zum Abflauen auch die wachsende Kritik aus der Linken selbst bei, dass statt der propagierten Luxuskarossen häufig billige Familienkutschen zerstört würden. Diesmal bleibt Kritik weitgehend aus.

Auf der "Berliner Liste" wird Gewalt verharmlost

Die Sprache ist erschreckend, das von Berlin gezeichnete Bild entlarvend. Gewalt wird als „kreative Fassadenumgestaltung“ verharmlost und bei weiteren Anschlägen „mehr Salz in der Suppe“ gefordert. Man möchte nicht wissen, wie gerechtfertigt würde, falls bei einem Brandanschlag Menschen betroffen sein sollten. Umstandslos werden zu den angeblichen Profiteuren und Handlangern einer „antisozialen Stadtumstrukturierung“ auch staatliche Institutionen gezählt und selbst Biomärkte als Luxusläden diffamiert. Das ist keine unbedachte Wortradikalität, sondern eine Kampfansage gegen ein Berlin, dessen Attraktivität auf seiner bunten Vielfältigkeit gründet.

Muss sich die Zivilgesellschaft herausgefordert fühlen? Bedeutung bekommt ein solcher Hassaufruf dadurch, dass kein Thema die Berliner so bewegt wie die steigenden Mieten und die Sorge, sich die angestammte Wohnung im heimatlichen Kiez nicht mehr leisten zu können. Daraus versuchen die Gewalttäter Funken zu schlagen. Es ist richtig, dass der Boom bei teuren Neubauwohnungen den Mietanstieg befeuert – weil der rot-rote Senat die Brisanz des Themas völlig verkannt hat. Erst die SPD/CDU-Koalition versucht, wenn auch noch ohne handfeste Ergebnisse, den Bau billiger Wohnungen anzukurbeln und mit dem Verbot von Ferienwohnungen oder einem Mietwucher-Erlass gegenzusteuern. Dass ein Mietbündnis der städtischen Wohnungsbauunternehmen die Teuerung bremsen soll, wird von den Autonomen ebenso negiert wie Gerichte, die dreiste Vermieter in die Schranken weisen.

Berlin verändert sich so schnell wie seit dem Mauerfall nicht mehr

Berlin verändert sich gefühlt derzeit so schnell wie seit dem Mauerfall nicht mehr. Die Umbrüche sind für jeden spürbar; Berlin ist nicht mehr die skurrile Sonderwirtschaftszone, wo jeder billig leben konnte, sondern wird zur lange sehnsüchtig beschworenen Metropole, die aber nun auch ihre Kehrseiten zeigt. Die Stimmungslage ist gereizter geworden. Auch der aufflackernde grobe Schmäh gegen Schwaben ist kein Witz, sondern Symptom eines wachsenden Gegeneinanders. Es ist eine Atmosphäre, in der ein solcher Gewaltaufruf Resonanz, und auch Verständnis, finden kann. Gegen Süddeutsche, gegen Zuzügler, gegen Investoren – eine unterschwellige Fremdenfeindlichkeit unter dem Deckmantel der Kiezverteidigung. Hetze gegen Investoren und Häme gegen Zuzügler aber darf es hier nicht geben. Berlin kann froh sein, wenn Besserverdienende herziehen, die selbst Arbeit schaffen oder mit ihren Steuern beitragen, dass Berlin nicht Hauptstadt der Arbeitslosigkeit bleibt. Die unbekannten Autoren haben dafür nur Hohn übrig. Aber eine sensible Stadtgesellschaft muss sich herausgefordert fühlen, in Zeiten des Umbruchs das Ziel eines sozialen Miteinanders im Auge zu behalten. Die Berliner Liste ist eine Warnung.

Zu den Hintergründen des Kommentars lesen Sie auch: "Berliner Liste" nimmt alteingesesse Kreuzberger ins Visier

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false