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Schwarz-Gelb: Schnee von gestern

Die Koalition beschließt einiges zur Sterbehilfe, zum Jugendstrafe und Sorgerecht – und die Entscheidungen lassen uns kalt. Gut so.

Für Koalitionäre gilt dasselbe wie für Kinder, Haustiere und durchschnittliche Arbeitnehmer: Ab und zu möchten sie einmal gestreichelt werden. „Wir haben im Bereich der Rechts- und Innenpolitik wirklich gut gearbeitet“, meldet die Justizministerin an die Öffentlichkeit und erwartet wohl eine Belohnung. Sie wird sie kaum bekommen, doch sind die Ergebnisse des Koalitionsausschusses ein kurzes Innehalten wert. Viele Themen – Jugendstrafen, Sterbehilfe, Sorgerecht – haben einen gehörigen Wallungswert. Und jetzt sollen die Ergebnisse nur noch dazu dienen, ein braves Abarbeiten der Agenda zu belegen?

So ist es eben in einer Zeit, in der plötzliche Anforderungen von außen (Atomunfälle, Schuldenkrisen) auf unzuverlässige Akteure im Inneren treffen (stellvertretend für alle: Wulff). Wir wechseln Tagesordnung und Themen und sortieren Wichtigkeiten neu. Oft kann das auch ein Segen sein.

Zum Beispiel beim Jugendstrafrecht. Jetzt soll er kommen, der Warnschussarrest, der den nur zu einer Bewährungsstrafe verurteilten Jugendlichen zeigen soll, wie Knastluft riecht. Es war falsch, daraus eine erziehungstechnische Glaubensfrage zu machen. Mancher Täter wird sich beeindrucken lassen, viele andere werden es nicht. Die Richter bekommen ein Sanktionsmittel mehr an die Hand, das ist positiv, sie werden es aber zurückhaltend einsetzen: Junge Leute brauchen gute Vorbilder, und die Wahrscheinlichkeit, sie im Gefängnis anzutreffen, ist klein.

Überhaupt, die Richter. Sie haben auch dafür gesorgt, dass besonnener über Sterbehilfe geredet wird. Entspricht „Sterbenlassen“ dem Patientenwillen, ist es straflos, urteilte der Bundesgerichtshof und beendete damit eine jahrelange Diskussion. Übrig bleibt ein Bedarf, den weder der Staat noch kommerzielle Anbieter befriedigen müssen. Die gewerbsmäßige Vermittlung von Selbsttötungsgelegenheiten zu verbieten, ist deshalb konsequent und entspricht dem Menschenwürdebild des Grundgesetzes. Freiheitskämpfer nach dem Modell des Justizsenators a. D. Roger Kusch brauchen wir nicht.

Der Streit ums Sorgerecht Unverheirateter taugt immer mal für den Geschlechterzwist, doch auf diesem Feld wird derzeit lieber über die Quote diskutiert. Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger hat sich hier mit einem Kompromiss durchgesetzt, der Mütter im Vorteil belässt, aber den Vätern genug Rechte einräumt. Es bringt einfach nichts, Lebensentwürfe und Rollenbilder gegeneinander auszuspielen. Es geht hier nicht um die Eltern, es geht um das Kind. Die Koalition beschloss damit Überfälliges und – auch von Richtern – zu Recht Angemahntes.

Ansonsten zeigt sich: Es muss nicht alles unter das Diktat von Alternativlosigkeit und Reformzwang gestellt werden. Besserung kann eintreten, wenn man abwartet. Erregte Diskussionen beflügeln den nötigen politischen Konsens nicht immer. Auch Schnee von gestern ermöglicht die Abfahrt. Die Koalition hat sich ein wenig bewegt, und der Globus hängt noch immer in den Angeln. Gut so. Wer möchte, kann streicheln.

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