zum Hauptinhalt
Das Ende. Viele möchten selbst bestimmen, wann es kommen soll.

© dpa

Sterbehilfe: Die Würde des Andersdenkenden

Würde lässt sich nicht als Waffe vereinnahmen: Die Debatte um Sterbehilfe braucht keine Kampfparolen. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Wolfgang Prosinger

Es ist ein mächtiges Wort und ein ohnmächtiges zugleich. Und es wird in den kommenden Wochen zu einem Hauptwort werden. Es heißt Würde.

Denn die deutsche Politik versucht in diesem Herbst erneut ein Thema auf die Tagesordnung zu setzen, an dem sie schon mehrmals gescheitert war: die gesetzliche Regelung der Sterbehilfe, insbesondere des begleiteten Suizids. Gerade hat die Debatte darüber durch die Selbsttötung des früheren MDR-Intendanten Udo Reiter neue Nahrung bekommen. Noch findet sie allerdings nicht in der Öffentlichkeit des Bundestags statt, sondern erst einmal hinter den Türen. Verschiedene Gesetzentwürfe liegen bereit, eines aber ist ihnen gemeinsam – die Würde des Menschen als zentraler Begriff. Und genau das ist das Problem.

Was ist Würde?

Denn kurioserweise ist es ein Wort, das beide Parteien in diesem Ethikstreit gleichermaßen bemühen. Die Befürworter einer Liberalisierung berufen sich ebenso darauf wie die Anhänger strenger Verbote. Die Würde des Menschen nehme Schaden, sagen die einen, wenn sein Leben in die Hände organisierter Sterbehilfe-Vereine geriete. Nein, sagen die anderen, ein Verstoß gegen die Menschenwürde liege im Gegenteil gerade dann vor, wenn solche Hilfe verweigert würde, schwer leidende Kranke ihres Rechts auf Selbstbestimmung beraubt würden. Die Würde der einen ist offenbar nicht die Würde der anderen.

Was ist Würde?

Weil diese Frage schwer zu beantworten ist, soll hier eine kurze Geschichte erzählt werden. Sie ereignete sich vor etlichen Jahren in der Schweiz bei Zürich. Die dort ansässige Organisation „Dignitas“, so stand es überall zu lesen, habe einem todkranken Mann Sterbehilfe geleistet – und zwar in einem Auto auf einem Parkplatz. Die Folge war ein öffentlicher Aufschrei, Medien und Politiker empörten sich. Im Auto! Auf einem Parkplatz! Offenbar schreckte „Dignitas“ (was ja nichts anderes als „Würde“ heißt) vor nichts zurück. Was für ein Anschlag auf die Menschenwürde!

Artikel 1 des Grundgesetzes nimmt auf den Begriff Bezug

Wenn man recherchiert hätte, was durchaus möglich gewesen wäre, so hätte man das Folgende erfahren können: Der Parkplatz war eine einsame Stelle im Wald; und das Auto ein Wohnmobil, mit dem der kranke Mann in glücklicheren Jahren zahlreiche Ferienreisen unternommen hatte. Vor seinem Tod hatte er erklärt, das Fahrzeug sei für ihn so etwas wie ein Zuhause. Er wünsche ausdrücklich, in der ihm vertrauten Umgebung zu sterben. Das sei Ausdruck seiner Würde.

Was daraus zu lernen ist? Dass nur das jeweilige Individuum selbst definieren kann, was für ihn würdig sei. Dass die Behauptung einer wie auch immer gearteten Würde im Sterben meist eine Anmaßung im Mantel der Fürsorge ist. Würde wäre also, um ein Wort von Rosa Luxemburg abzuwandeln, immer die Würde des Andersdenkenden.

Gleichwohl ist der Begriff der Würde ein Fundament der allgemein gültigen Wertsetzung aufgeklärter Gesellschaften, ist eine objektive Grundnorm und ein subjektives Grundrecht zugleich. Nicht umsonst ist er – gerade unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen – bewusst im Artikel 1 des Grundgesetzes als „unantastbar“ verankert. Er ist Grundierung und Maßstab jeglichen Normenverständnisses. Und doch muss scheitern, wer diese Würde ins Korsett einer gültigen Definition pressen wollte, was Juristen, Philosophen und Ethiker zu allen Zeiten auf unzähligen Seiten versucht haben. Doch die Würde will sich solchen Domestizierungen nicht fügen. So sehr unterliegt sie ständigem sozialen Wandel, ist abhängig vom Menschenbild der verschiedenen Epochen, auch von deren jeweils religiösen oder säkularen Setzungen.

Schon Arthur Schopenhauer klagte über die „Leerheit“ des Ausdrucks Menschenwürde, und der erste Bundespräsident Theodor Heuss wünschte, dass die Idee der Menschenwürde im Grundgesetz absichtlich „uninterpretierbar“ bleiben möge. Sie bedarf keiner weiteren Erklärung , hat eine eigene Plausibilität und strahlt aus sich selbst heraus.

Darum ist der Begriff als Willenskundgebung einer staatlichen Sittlichkeit eine Errungenschaft erster Güte. Aber gerade deshalb taugt er ganz und gar nicht zur inflationär gebrauchten Kampfparole kontroverser Ideologien. Würde lässt sich nicht als Waffe vereinnahmen. Man könnte sogar sagen: Das verletzte die Würde der Würde.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false