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Außenminister Frank-Walter Steinmeier reist zu einem Kurzbesuch in die Ukraine.

© dpa

Ukraine-Krise und Kriegsangst: Keine Zeit für Zurückhaltung

Die westliche Diplomatie muss im Ukrainekonflikt mutige Schritte wagen. Im Moment scheint Russland alles zu diktieren und der Westen erscheint als getrieben und hilflos

War die rhetorische Aufrüstung durch die ukrainische Regierung – „Russland will den dritten Weltkrieg anzetteln“ – ein Fehler, was ist dann die Bemerkung des deutschen Außenministers, er verstehe die Angst der Deutschen vor Krieg? Wenn verbal nicht eskaliert und zugleich das vom ukrainischen Premier Arsenij Jazenjuk Gesagte nicht unverhältnismäßig aufgewertet werden soll – dann hätte auch in Deutschland niemand von Krieg reden sollen.

Denn in jedem Fall lädt das zu Interpretationen ein, die in Bezug auf das zu erwartende Verhalten beispielsweise der Deutschen bei einer Abspaltung der Ostukraine missverständlich sind. In keinem Fall wird aber das in Russland ein Umdenken herbeiführen.

Wenn nun allerdings, umgekehrt gedacht, die Erkenntnis da ist, dass sich die Welt auf einem abschüssigen Weg hin zu einem Krieg befindet? Dann müsste vom Westen und gerade von Mitteleuropas mächtigstem Staat, von Deutschland, alles getan werden, um das zu verhindern. Also auch Überraschendes. Wenn die Lage wirklich so ist, dass Kriegsangst herrscht.

Überraschend wäre zum Beispiel, wenn der deutsche, der polnische und der französische Außenminister jetzt alles Protokollhafte fahren ließen und gemeinsam in Kiew und notfalls im Donbass erschienen. Um der Regierung der Ukraine, voran dem Premier, klarzumachen, dass er nichts herbeireden soll, was unbeherrschbar wäre; und das schon gar nicht von der Ukraine, die politisch zu implodieren droht. Vielmehr gilt es da, mit allen Kräften auf einen – wohlgemerkt: politischen – Prozess hinzuwirken, der Struktur ins Regierungshandeln im Sinn gesamtstaatlicher Stabilität bringt. Immerhin ist die Ukraine UN-Staat, was bedeutet, dass sie unabhängig von alten geschichtlichen Hilfsargumenten Russlands Anspruch auf Anerkennung ihres Staatsgebildes hat.

Hier kann eine Reise der Vertreter des „Weimarer Dreiecks“ eine wohlverstandene Demonstration in zwei Richtungen sein, nach Kiew wie nach Moskau. Aber auch eine Reise dieser drei Minister nach Moskau ist diskussionswürdig: Sich unter Aufgabe aller Zurückhaltung quasi dort selbst einzuladen, würde der ja offenkundig gesehenen Dimension des Geschehens entsprechen. Besonders vor dem Hintergrund, dass gerade immer wieder daran erinnert wird, wie der Erste Weltkrieg vor 100 Jahren begann: indem der Westen dort gewissermaßen hineinrutschte. Jede ungewöhnliche diplomatische Aktion entspräche der Erkenntnis, dass sich so etwas nicht wiederholen darf.

Ein Letztes: Ungewöhnlich muss das Handeln auch sein, weil Russland alles zu diktieren scheint, der Westen als getrieben und hilflos erscheint. Schon 150 amerikanische Soldaten in Litauen werden als Problem aufgefasst, während Putin 40 000 Soldaten und Panzer an der Grenze zur Ukraine massiert? Dem postsowjetischen Kremlherrn muss klar werden, dass Soldaten keine Kosten-Nutzen-Abwägung auf seiner Seite ersetzen. Und dass, wenn der Westen von ihm in harte gemeinsame Sanktionen hineingezwungen worden sein sollte, nicht zuletzt er verloren haben wird.

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