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Gemeinsam für Europa. Vitali Klitschko (Bildmitte) und seine Oppositionskollegen sehen keinen Spielraum mehr für eine Einigung mit der Regierung.

© AFP

Ukraine und EU: Technischer Knock-out

Vitali Klitschko gewinnt seine Kämpfe in der Regel nicht nach Punkten, sondern vorzeitig, durch technischen Knock-out des Gegners. Was ihm als Boxer bei bisher 40 Siegen gelang, ist in der politischen Arena missglückt.

Den erträumten schnellen Regimewechsel konnten Klitschko und seine Ringgenossen bisher nicht erzwingen, ihr Misstrauensvotum scheiterte im Parlament, trotz Straßenblockaden geht die Regierung nicht in die Knie, nach Punkten liegt die Opposition im Rückstand.

Europas Entscheidungsträger hält das nicht davon ab, in Klitschko den Mann der Stunde zu sehen. Guido Westerwelle flaniert an seiner Seite über den besetzten Maidan, Brüssels Außenbeauftragte Catherine Ashton posiert mit ihm für Fotos, Angela Merkels Partei stellt Wahlkampfhilfe in Aussicht. Er ist ja auch grundsympathisch, dieser Kerl, und wenn er auf Deutsch oder Englisch die Kiewer Krise erklärt, hört man ihm gerne zu.

Dass Klitschkos potenzielle Wähler andere Sprachen sprechen, gerät dabei leicht aus dem Blick. In den südöstlichen Teilen des gespaltenen Landes wird sich weder für ihn noch für einen der anderen Oppositionskandidaten eine Mehrheit finden, und nicht einmal im Westen ist jeder Janukowitsch-Gegner ein Klitschko-Anhänger. Die landesübergreifende Integrationskraft, die bei der Orangenen Revolution zumindest kurzfristig Viktor Juschtschenko bewies, hat derzeit leider kein ukrainischer Politiker.

Europa agiert weiterhin ohne wirkliche Strategie

Eher aus Ratlosigkeit denn aus Überzeugung setzt Europa also auf Klitschko – und agiert damit weiterhin so strategielos, wie die Verhandlungen mit der Ukraine seit Jahren geführt werden. War man in Brüssel wirklich überrascht, als Janukowitsch die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens aussetzte?

Im Kern ist der angebotene Vertrag nicht viel mehr als ein Freihandelsabkommen, wie es die EU auch mit Ländern wie Tunesien, Südafrika oder Mexiko unterhält – nicht sehr viel also für einen europäischen Nachbarn.

Statt der von Janukowitsch geforderten, von Millionen Ukrainern erträumten Visafreiheit stellt das Papier vage Erleichterungen in Aussicht. Wirtschaftlich fällt die Perspektive noch schwächer aus: Finanzhilfen von nicht einmal einer Milliarde Euro zur Umsetzung gewaltiger Reformforderungen, in einem Land, das kurz vor dem Staatsbankrott steht. Zusätzlich in Aussicht gestellte IWF-Kredite knüpfte man an Bedingungen wie die Erhöhung des Gaspreises für Endkunden – welcher Staatschef, dem wie Janukowitsch 2015 Wahlen bevorstehen, würde sich zu derart unpopulären Maßnahmen verpflichten lassen?

Auch das Erstaunen über Russlands Einmischung wirkt unglaubwürdig, zumal Brüssel in der Ukraine nicht weniger eigennützige Interessen verfolgt als Moskau: Die Freihandelszone erleichtert EU-Firmen den Zugang zu 45 Millionen Konsumenten, exportieren will man nicht nur Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, sondern auch ein paar Autos und Konsumgüter. Russlands mitunter fragwürdige Mittel kann die EU kritisieren, nicht aber, dass der östliche Nachbar eigene Wirtschaftsinteressen verfolgt, denen das Assoziierungsabkommen teilweise entgegensteht.

Weder innen- noch außenpolitisch ist es der Ukraine möglich, sich ausschließlich am Westen oder am Osten auszurichten. Statt eine Entscheidung zu erzwingen, sollte die EU den Ring frei machen für neue Verhandlungen. Diesmal unter intensiver Einbeziehung Russlands – und mit dem Willen, der Ukraine eine echte Perspektive zu bieten.

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