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Umstrittene Urteile: Selbst richten statt Homos testen

Es ist gerechtfertigt, wenn die deutschen Richter besser bezahlt werden wollen. Aber dafür sollen sie auch ihren Job machen - und nicht Gutachtern überlassen, die sie auf Irrwege führen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Die Richter wollen mehr Geld. Einige klagen jetzt sogar in Karlsruhe. Sie sollten es bekommen. Die öffentlichen Ausgaben für Justiz sind bescheiden niedrig im Vergleich zu dem, was diese Justiz bietet: Ein Rechtsschutzniveau, das man wohl erst vermissen wird, wenn man es nicht mehr hat.

Das sind die guten Seiten. Kommen wir zu den schlechten. Richter sollten tun, wofür man sie bezahlt: entscheiden. Die verbreitete Neigung, dies anderen zu überantworten, nämlich Gutachtern, zeigt sich im Urteil des Europäischen Gerichtshofs, mit dem klar gesagt wird, was von „Homo-Tests“ für Asylbewerber zu halten ist – nichts. Auch deutsche Richter haben sich schon von peinlichen Gutachten leiten lassen, wenn Homosexualität als Asylgrund glaubhaft gemacht werden sollte. Allerdings ist das keine Gutachter-Frage. Richter wollen es manchmal, aber sie kommen um ein eigenes Urteil nicht herum. Nicht, ob etwa einer schwul ist. Sondern ob er deswegen in seiner Heimat verfolgt wird. Die Expertokratie, die sich der Politik bemächtigt, ist längst auch in das Recht eingedrungen. Richter müssen wissen, wann Schluss ist. Sie können sich besser wehren als Politiker, die am Ende machen, was das Wahlvolk will.

Scheinwissenschaft, anders kann man das Gutachten nicht nennen, mit dem Behörden und Gerichte einem Asylbewerber aus Ghana das Sorgerecht für seine Tochter entzogen. Der Vater schaukelt das Kind zu doll, er spricht zu laut, wurde attestiert. Er wisse nicht, welche Bildungsmaßnahmen er seiner Tochter angedeihen lassen wolle; er könne die „feinen Signale“ ihrer emotionalen Bedürfnisse nicht empfinden, verfüge nicht über „pädagogisches Werkzeug im Sinne einer partnerschaftlichen oder demokratischen Erziehung“ und sei auf „Nachschulungen“ angewiesen, um von seinen „afrikanischen Verhaltensweisen“ den gebotenen Abstand zu nehmen.

Fast noch schlimmer als der Herrenmenschenunterton ist die joviale Überschätzung unserer ach so aufgeklärten Pädagogik, die aus jedem Kind einen Humboldt auf Speed machen möchte, der die übernächste New Economy von hinten aufrollen soll. Der Schwarze schnackselt gern, wie Fürstin Gloria mal sagte, aber erziehen, bilden, das kann er nicht. Mit solchen Experten könnte man einem ganzen Kontinent das Sorgerecht entziehen.

Das Bundesverfassungsgericht hat das Gutachten zerpflückt (1 BvR 1178/14), nun bekommt der Mann eine neue Chance, Vater zu sein. Auch seinen unsicheren Aufenthaltsstatus hatte man ihm angelastet. Doch der Staat darf erst an die Stelle der Eltern treten, wenn Eltern versagen oder das Kind zu verwahrlosen droht. Das ist ein Grundrecht.

Wie konnten Richter es übersehen? Alle wollen mehr Geld, auch Richter. Aber es ist wie in allen Berufen, manche verdienen nicht, was sie verdienen.

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