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Deutsch-russische Beziehung: Vernünftig ist, was nützlich ist

Kanzlerin Angela Merkel besucht Dmitri Medwedew und lobt die Beziehungen zwischen beiden Staaten. Es ist sichtbar: Zwischen Deutschland und Russland läuft es gut – beide Länder haben aus Krisen gelernt.

Hat sich Angela Merkel von ihrem Vorgänger Gerhard Schröder beschwatzen lassen? Ist der Kanzlerin der Realitätssinn abhanden gekommen? Wer liest, in welch hohen Tönen die deutsche Regierungschefin nach dem Abschluss der Regierungsgespräche mit Russland die Beziehungen zwischen beiden Staaten lobte, glaubt an ein Déjà-vu. So schwärmerisch intonierte einst nur der sozialdemokratische Kanzler seine Hymnen. „Es hat sich … eine sehr tiefe und sehr freundschaftliche Beziehung entwickelt, in der schwierige Fragen besprochen werden können.“ Sagt nicht Schröder. Sagt Merkel.

Tatsächlich hat sich in den knapp fünf Jahren seit dem Amtsantritt Merkels als Kanzlerin einer großen Koalition die Welt, hat sich Europa, hat sich das globale Miteinander geändert. Die deutsch-russischen Beziehungen sind Teil eines weltweiten diplomatischen und ökonomischen Netzwerkes. Dessen Maschen sind enger geworden, weil unter dem Eindruck krisenhafter Entwicklungen die Rationalität der Politik gewachsen ist.

Das begann mit der Wahl des amerikanischen Präsidenten Barack Obama, der das Verhältnis zu Russland entkrampfte, indem er die Pläne seines Vorgängers zur Installation von Raketenabwehrsystemen in Polen und Tschechien relativierte. Der Amtswechsel in Moskau von Präsident Wladimir Putin auf den sich unerwartet eigenständig entwickelnden Dmitri Medwedew erwies sich als glückliche Entsprechung zu den amerikanischen Lockerungsbestrebungen. Wie schon in den frühen siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts unter dem Eindruck der Charmeoffensive von US-Präsident Richard Nixon gegenüber der UdSSR und China stellten sich auch in der Ära Obama-Medwedew schnell erfreuliche regionale Folgen des veränderten Tones zwischen den Großmächten ein.

Damals ermunterte Nixon indirekt die deutsche Ostpolitik und den KSZE-Prozess. Heute kehrt in Polen Donald Tusk zu einem offenen Stil in der EU zurück. Er entspannte, darin von seinem russischen Kollegen Wladimir Putin gestützt und ermutigt, das Verhältnis zum einstigen Besatzer. Putins Besuch in Katyn und das Eingeständnis der sowjetischen Verantwortung für die Massaker an der polnischen Führungsschicht im Frühjahr 1940 machten den Neubeginn zwischen beiden Ländern möglich.

Wenn Russland und Deutschland heute von der Notwendigkeit einer gesamteuropäischen Sicherheitspartnerschaft sprechen können, hängt das mit all dem zusammen, vor allem aber auch mit dem gemeinsamen Bewusstwerden der von einem nuklear gerüsteten Iran ausgehenden Gefahr für den Weltfrieden. Letztlich führt die Angst vor der Unberechenbarkeit der iranischen Politik auch die USA, Europa und Russland zusammen.

Durch die weltweite Finanzkrise ist Russland, das sich wegen seiner riesigen Rohstoffvorräte für ökonomisch unverwundbar hielt, schmerzhaft aus allen Wachstumseuphorien gerissen worden. Wenn jetzt sowohl der Petersburger Dialog zwischen Russland und Deutschland als auch die Regierungskonsultationen in Jekaterinburg mit geradezu euphorischen Bekundungen des Einverständnisses beendet wurden, liegt das also ganz einfach an der nüchternen Erkenntnis, dass von Konfrontation niemand etwas hat und Kooperation allen nutzt.

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