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Wahl zum Bundespräsidenten: Die Zurückblicker

Von Heuss zu Gauck: Das Thema von Bundespräsidenten ist nicht die Zukunft des Landes, sondern dessen Vergangenheit. Sie leben vom Blick zurück.

Ein Stasi-Jäger und eine Nazi-Jägerin: Wen sonst könnte ein Land, dessen Blick so hartnäckig auf die eigene Vergangenheit gerichtet bleibt, zum Bundespräsidenten wählen? Joachim Gauck und Beate Klarsfeld gelten, in ihren jeweiligen politischen Milieus, als mutige Aufarbeiter der deutschen Vergangenheit; sie werden quasi als Verkörperungen einer anderen, besseren Vergangenheit wahrgenommen. Politisch leben beide, und nur so ist die Debatte um Gaucks vermeintlich eingeschränkten Freiheitsbegriff zu verstehen, vom Blick zurück.

Bundespräsidenten waren schon immer Zurückblicker. Ihre Aufgabe bestand historisch darin, nicht Hindenburg zu sein. Sie sollten durch die eigene politische Schwäche den Bruch mit der Vergangenheit dokumentieren und mithelfen, diese Vergangenheit vergessen zu machen. Ihr Thema, von Heuss bis Weizsäcker, war die Bewältigung des „Dritten Reichs“. Dazu gehörte, bei Weizsäcker zum Beispiel, die Rede zum 8. Mai 1945 ebenso wie sein Einsatz für die Freilassung von Rudolf Heß („Er ist ein 92-jähriger Greis“).

Diese Präsidenten konnten überzeugend über die Vergangenheit reden, weil sie selbst Teil von ihr waren. Historische Schuld, Versöhnung, deutsche Teilung und europäische Einheit hieß das Material ihrer Reden. Mit Roman Herzog, der bei Kriegsende ein Kind gewesen war, mit der Wiedervereinigung und der europäischen Integration ging das klassische Betätigungsfeld der deutschen Präsidenten jedoch verloren. Ihre Aufgabe war erfüllt. Herzogs Versuch, mit der „Ruck-Rede“ auch die Deutungshoheit über den gegenwärtigen Zustand des Landes zu gewinnen und so den innenpolitischen Einfluss des Bundespräsidenten zu vergrößern, führte schließlich zum dramatischen Rücktritt seines Nachfolgers. Horst Köhler scheiterte am politischen Establishment, das ihm diese Machterweiterung nicht zubilligen wollte.

Der Gegenstand des Bundespräsidenten ist nicht die Zukunft des Landes, sondern seine Vergangenheit. Ein junger Präsident wie Christian Wulff, der selbst keine Vergangenheit hat, konnte dazu kaum etwas beitragen. Doch die Vergangenheit ist aufgearbeitet, zum Teil jedenfalls. Nach Richard von Weizsäcker braucht das Land keine Beate Klarsfeld mehr.

Aber die vor allem im Osten heftig geführte Debatte darüber, ob Gauck ein großer Bürgerrechtler war oder nicht, angepasst oder widerständlerisch, zeigt, dass die DDR-Vergangenheit 20 Jahre nach der Wende noch nicht ausgedeutet ist. Gauck kann überzeugend über diese Vergangenheit reden, weil er Teil von ihr war – anders als seine Vorgänger. Darin liegt das Angebot seiner Präsidentschaft: der Rückblick auf die jüngere deutsche Geschichte. Es ist erstaunlich, dass gerade die Gauck-kritischen Bürgerrechtler dieses Angebot nicht verstehen.

Von Joachim Gauck zu erwarten, dass er auf die Zukunft des Landes blickt, zur Wirtschaftskrise und zu Facebook Stellung nimmt, ist ein Fehler. Seine Stärke – und vor allem die des Amtes, das er anstrebt – ist der Blick zurück.

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