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Glutenfreie Ernährung. Wer das Klebereiweiß komplett aus seinem Speiseplan streichen muss, sollte einen Bogen um Bäckereien machen. Denn es ist in fast allen gängigen Getreidesorten und damit auch in Brot, Brötchen und Kuchen enthalten.

© picture alliance / Foodcollectio

Was WISSEN schafft: Frei von Verstand

Alles bitte ohne Gluten, Glutamat und Laktose. Doch diese "Frei-von-Produkte" ändern nichts daran: Eine Pizza bleibt eine Pizza

Begonnen hat alles mit Glutamat. Der besonders in der asiatischen Küche beliebte Geschmacksverstärker geriet in Verruf, weil er angeblich an diversen Gesundheitsproblemen beteiligt ist, von Übergewicht und einem mysteriösen „China-Restaurant-Syndrom“ bis hin zu Nervenleiden wie Parkinson und Alzheimer. Beweise: keine. Dennoch verschwand Glutamat aus vielen Fertigprodukten, obwohl jeder Mensch mit der ganz normalen Ernährung täglich grammweise Glutamat aufnimmt. Die Aminosäure ist übrigens auch ein wichtiger Botenstoff im Gehirn.

Glutamat kitzelt auf der Zunge einen eigenen Geschmack hervor, „umami“ genannt. Das ist japanisch und heißt so viel wie „herzhaft“ oder „wohlschmeckend“. Umami ist neben süß, salzig, sauer und bitter die fünfte Qualität des Geschmackssinns. Natürlicher geht’s kaum. Trotzdem gilt Glutamat in ernährungsbewussten Kreisen längst als Teufelszeug.

Anti-Gluten-Hype

Als Nächstes erwischte es Laktose, den Milchzucker. „Frei von Laktose“ sind mittlerweile unzählige Produkte. Dabei ist Milchzucker für 85 Prozent der Nordeuropäer kein Problem. Dank einer genetischen Anpassung an das Dasein als Viehzüchter ist ihr Organismus imstande, Laktose auch noch im Erwachsenenalter zu spalten. Und von den übrigen 15 Prozent mit Laktose-Unverträglichkeit verkraften die meisten durchaus eine gewisse Menge an Milchzucker. Als „laktosefrei“ deklarierte Produkte sind demnach oft überflüssig. Dafür sind sie meist deutlich teurer.

Der Anti-Laktose-Hype ist also mindestens ein Segen für die Lebensmittelindustrie.

Auch Gluten hat wie Milchzucker mit der Menschheitsgeschichte zu tun, mit der Sesshaftwerdung des Ackerbauern vor 10 000 Jahren. Spätestens seit dieser Zeit ernähren wir uns von Getreide wie Weizen, Roggen oder Hafer, deren Körner das Klebereiweiß Gluten enthalten. Gluten macht den Brotteig elastisch und backfähig. Trotzdem ist es das neueste „Frei von …“ -Opfer geworden. Die Regale in den Supermärkten sind mittlerweile voll von glutenfreien Produkten. Selbst glutenfreies Hundefutter gibt es und, kein Scherz, glutenfreies Wasser.

Vordergründig ist die Ursache des Anti-Gluten-Hypes die Zöliakie, ein seltenes Darmleiden. Etwa jeder 250. bis 500. Deutsche verträgt das Klebereiweiß nicht, weil der Darm überempfindlich auf das Getreideprotein reagiert. Zöliakiekranke müssen entsprechend genau darauf achten, kein Gluten zu sich zu nehmen. Trotzdem stellt sich die Frage, warum nun offenbar weite Teile der nicht erkrankten Bevölkerung ebenfalls zu glutenfreien Produkten greifen, obwohl es für sie keinen nachweislichen Vorteil hat. Glutenfrei, das klingt irgendwie gesund, und überhaupt, wenn das schon draufsteht auf der Verpackung, muss es ja etwas zu bedeuten haben!

Der Anti-Gluten-Hype kommt aus den USA, wo die Industrie mit dem Label „glutenfrei“ Jahr für Jahr mehr Milliarden umsetzt. In den Staaten ist die Gluten-Kritik längst über die Zöliakie hinaus und konzentriert sich auf die Zivilisation als Ganzes. Denn das Übel fing an, als der Mensch Getreide zu essen begann. Kohlenhydrate aus Körnern vereint mit Gluten sind die Geschwister Fürchterlich. „Stille Killer“ nennt sie der amerikanische Neurologe David Perlmutter, dessen Buch „Dumm wie Brot“ es an die Spitze der US-Bestsellerlisten schaffte. Kohlenhydrate und Gluten sind an Entzündungen beteiligt, die im Nervensystem zu Alzheimer und Parkinson führen können (kommt Ihnen das bekannt vor?), behauptet Perlmutter. Und zu Multipler Sklerose, Kopfschmerzen, Angst, Aufmerksamkeitsdefizitstörung, Epilepsie … Eindeutige Beweise? Mal wieder keine.

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Das wirklich Ärgerliche an den „Frei von“-Produkten ist, dass sie dem größten Teil der Verbraucher einen Vorteil nur vorspiegeln. Eine glutenfreie Tiefkühlpizza bleibt eben eine Tiefkühlpizza mit jeder Menge Salz und Fett. Die echten Ernährungsprobleme – zu reichlich, zu viel Fleisch und tierische Fette, zu wenig Obst und Gemüse – bleiben unangetastet. Sicher ist nur, dass die „Frei von“- Karawane weiterziehen und eine neue ertragreiche Oase finden wird.

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