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WHO will Empfehlung zu Zucker korrigieren: Zucker ist nicht der neue Alkohol

Die Weltgesundheitsorganisation will ihre Empfehlung zum Zuckerverzehr deutlich nach unten korrigieren. Unser Autor erklärt, warum die neuen Grenzwerte für Zucker übertrieben sind.

Wissen Sie, wie viel Zucker Sie heute zu sich genommen haben? Und rechnen Sie bitte alles ein – den Zucker, den Ihr Bäcker in den Brötchenteig gerührt hat und Sie in Ihren Kaffee, den Fruchtzucker im frisch gepressten Orangensaft, den Honig in Ihrem Tee und den Zucker, den Sie mit jedem Löffel Müsli, Ketchup, oder Salatdressing, mit jedem Schluck Suppe oder Softdrink aufgenommen haben.

Wenn es nach der Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht, sollte das alles in Zukunft nicht mehr als fünf Prozent Ihrer Energiezufuhr ausmachen. Bei einem durchschnittlichen Menschen wären das etwa 25 Gramm Zucker am Tag oder sechs Teelöffel – weniger, als in einer einzigen Dose Cola enthalten ist.

So steht es im Entwurf der neuen Richtlinien, die die WHO Anfang des Monats vorgestellt hat und über die Forscher, Mediziner und Politiker seither diskutieren. Bis Montag sammelt die Organisation noch Kommentare auf ihrer Internetseite. Dann könnte der Vorschlag bald offizielle Richtlinie werden.

In Genf hat man sich auf einen Kampf eingestellt. Als die WHO 2003 vorschlug, nicht mehr als zehn Prozent der täglichen Energiezufuhr mit Zucker abzudecken, wurde sie massiv unter Druck gesetzt. Der amerikanische Kongress drohte gar, aufgestachelt von der Zuckerlobby, der WHO die Gelder zu streichen. Sollte jetzt ähnlicher Druck ausgeübt werden, sei man vorbereitet, sagt eine Sprecherin der WHO.

Unklar, wie schädlich Zucker wirklich ist

Das kann man bewundern. Trotzdem ist das Fünf-Prozent-Ziel zwar gut gemeint, aber auch überzogen und unpraktisch. Zum einen ist nicht klar, wie schädlich Zucker wirklich ist. Der süße Stoff ist in den vergangenen Jahren zum Bösewicht schlechthin stilisiert worden. Er soll zu Übergewicht, Diabetes, Herzkrankheit und sogar zu Demenz führen. Zucker sei giftig, allgegenwärtig und mache süchtig, sagt der amerikanische Arzt Robert Lustig. Deshalb müsse Zucker in Zukunft wie Tabak oder Alkohol behandelt werden. Er schlägt zum Beispiel vor, gesüßte Getränke nicht an Minderjährige zu verkaufen und alle Lebensmittel zu besteuern, die Zucker enthalten.

Auf der anderen Seite stehen Wissenschaftler, die zwar glauben, dass viele Menschen zu viel Kalorien zu sich nehmen, Zucker aber nur ein Teil des Problems ist. Sie weisen darauf hin, dass die Beweise, dass Zucker Diabetes oder Herzkrankheiten auslöst, schwach sind. Tatsächlich bezieht sich die WHO für ihre Fünf-Prozent-Empfehlung fast ausschließlich auf Studien, die das Risiko untersucht haben, Karies zu bekommen. Das dürfte für die meisten Menschen in Deutschland zwar nicht die größte Sorge sein, doch diese Folge von Zuckerkonsum ist am besten belegt.

Der Vorschlag der WHO ist schwer umsetzbar

Hinzu kommt, dass es einem durchschnittlichen Deutschen äußerst schwerfallen dürfte, nur fünf Prozent seiner Kalorien über Zucker aufzunehmen. Selbst wer Softdrinks und Süßigkeiten konsequent weglasse, könne das kaum erreichen, sagt Gerhard Rechkemmer, Präsident des Max-Rubner-Instituts. Der durchschnittliche Deutsche trinkt zum Beispiel alleine 45 Liter Apfelsaft pro Jahr, was sein Zuckerkonto laut WHO bereits schwer belasten würde. Um unter die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen, müssten also die Rezepturen der Lebensmittel selbst verändert werden.

Vor allem ist der Vorschlag der WHO aber unpraktisch. Wer kann schon genau sagen, wie viel Zucker sein Essen enthält? „Ich weiß nicht, wie viel Zucker ich heute zu mir genommen habe“, sagt auch Rechkemmer. Solche Empfehlungen seien in ihrer Plakativität politisch gut vertretbar; wie sie umgesetzt werden könnten, sei aber völlig unklar.

Einfacher wären klare Verhaltensregeln, zum Beispiel: Trinken Sie keine Softdrinks. Die enthalten viel Zucker und sonst eigentlich nichts. Sie machen nicht einmal satt. Wer könnte schon zehn Teelöffel Zucker essen, ohne mit der Wimper zu zucken? In einer Dose Cola trinkt sich das dagegen schnell weg. Wer Softdrinks aus seiner Ernährung verbannt, macht also kaum etwas falsch.

Und ansonsten empfiehlt es sich, in Sachen Ernährung zu entspannen. Man kann beim Frühstück sehr viel sinnvollere Dinge tun, als nachzurechnen, wie viel Prozent Zucker man zu sich genommen hat. Zeitung lesen zum Beispiel.

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