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Kommentar: Wulffs Schlappe wirkt nach

Eine knappe Niederlage im ersten Wahlgang hätte Angela Merkel mit einem kühlen Lächeln übergehen können. Bei diesem Ergebnis geht das nicht. Das war kein Warnschuss. Das war gezieltes Sperrfeuer. Und das Signal lautet: So geht es nicht mehr weiter!

Die Bundesrepublik hat ein neues Staatsoberhaupt, und viel spricht dafür, dass Christian Wulff ein selbstbewusster, ein würdiger Bundespräsident sein wird. Ein würdiges oder gar selbstbewusstes Bild hat die schwarz- gelbe Koalition hingegen gestern nicht abgegeben. Vor der Wahl des Köhler-Nachfolgers fanden sich gute Gründe, die Regierung nicht in der Krise zu sehen, falls Joachim Gauck zum Staatsoberhaupt gewählt würde. Schließlich ist der frühere DDR-Bürgerrechtler eine in allen politischen Lagern (bis auf das der Linken) hoch angesehene Persönlichkeit. Aber schon das Ergebnis des ersten Wahlgangs zeigte, dass die Bundesregierung in einer schweren, in einer existenziellen Krise steckt – und das gilt zuallererst für die Bundeskanzlerin selbst.

Die hohe Zahl der Abtrünnigen aus dem schwarz-gelben Lager ist eine Ohrfeige für die Regierungschefin. Genau so war die verweigerte Gefolgschaft wohl auch gedacht. Das verbesserte Abschneiden Christian Wulffs im zweiten Wahlgang, dann seine Wahl, lindern den Schmerz. Dennoch bleibt als Faktum: Angela Merkel ist angeschlagen. Die Zügel der Koalition sind ihr entglitten, das Misstrauen, mit dem sie regiert, schlägt ihr nun von denen unverhohlen entgegen, mit denen sie allzu oft kalkulierend und wenig einfühlsam, man kann auch sagen herzlos (Ursula von der Leyen, Wolfgang Schäuble) umgegangen ist. Dass man die Menschen mitnehmen muss, hatte die kluge Technikerin der Macht nicht in ihren politischen Grundrechenarten.

Man muss vor allem die Zahlen des ersten Wahlgangs analysieren, um das Ausmaß des Scheiterns zu begreifen. Union und FDP blieben 44 Stimmen unter ihrer Mehrheit, für ihren Kandidaten Christian Wulff stimmten nur 600 der 644 eigenen Wahlfrauen und -männer. Joachim Gauck, der Kandidat von Rot-Grün, erhielt 37 Stimmen mehr, als SPD und Grüne zusammen auf die Waage bringen. Selbst wenn man annimmt, dass die zehn Vertreter der Freien Wähler für Gauck votierten, bleiben immer noch 34 aus dem Regierungslager auf seiner Seite. Und dann sind da noch die 13 Enthaltungen, die ebenfalls nur von Schwarz-Gelb kommen konnten. Auch im zweiten Durchgang fehlten Wulff mehr als 20 der koalitionsnahen Stimmen.

Eine knappe Niederlage im ersten Wahlgang hätte die CDU-Vorsitzende mit einem kühlen Lächeln übergehen können. Bei diesem Ergebnis gelingt das nicht. Das war kein Warnschuss. Das war gezieltes Sperrfeuer. Und das Signal lautet: So geht es nicht mehr weiter! Die klugen Ratgeber, die an die Kanzlerin appellierten, die Abstimmung freizugeben, haben sich von Anfang an getäuscht. Dieses Votum musste nicht freigegeben werden, es war von Anfang an frei, geheim und unkontrollierbar, und die Wahlfrauen und -männer wussten das. Angela Merkel hat nun die Quittung bekommen für die Nominierung Wulffs von oben herab genau in dem Stil, in dem sie und Guido Westerwelle schon 2004, damals begleitet vom überrumpelten Edmund Stoiber, Horst Köhler ins Rennen geschickt hatten. Nun brach sich in der Union der Zorn über neuerliche Bevormundung Bahn. Bei liberalen Delegierten aus den neuen Ländern waren es Wut auf die dilettierende eigene Parteiführung in Berlin und auch Sympathie für Gauck. Vielleicht befanden sich auch CDU-Denkzettel aus dem Südwesten Deutschlands darunter, adressiert an den niedersächsischen Ministerpräsidenten, der im Machtpoker zwischen VW und Porsche wenig Rücksicht auf den Autostandort Baden-Württemberg genommen hatte.

Die geradezu verzweifelten Hinweise prominenter FDP- und Unionsanhänger auf frühere Präsidentenwahlen, die ebenfalls erst im dritten Durchgang entschieden wurden, greifen nicht. Sowohl bei Roman Herzog als auch bei Gustav Heinemann gab es erkennbare Blöcke in der Bundesversammlung – diesmal aber fand sich die rechnerisch klar vorhandene Mehrheit lange nicht zusammen. Wie auch immer Angela Merkel und Guido Westerwelle uns das schönreden werden: Diese Pleite fügt sich nahtlos an den desolaten Start ihrer Regierung an.

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