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Zwischenruf: Das große Erbe der "Facebook-Partys"

Niedersachsens Innenminister möchte "Facebook-Partys" gerne unter bestimmten Umständen "im Vorweg" verbieten. Das erscheint auf den ersten Blick nachvollziehbar. Auf den zweiten ist es ein Aufruf zur Zensur.

Nein, so wird das nichts. Wer den Verbotsfans auch dann noch beikommen will, wenn weitere "Facebook-Partys" friedliche Wohnstraßen ins Chaos stürzen, muss sie ernst nehmen. Ernster zumindest als Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger: Dass der am Montag im ZDF-Morgenmagazin den Vorstoß seines niedersächsischen Kollegen Uwe Schünemann, „Facebook-Partys im Vorweg“ zu verbieten, mit dem Verweis auf „Krawallmacher“ am Rande von Fußballereignissen zu kontern suchte, zeigte vor allem eins: In Sachen Medieninkompetenz muss Jäger sich hinter Schünemann nicht verstecken.

Im Gegenteil: Eigentlich ist die Position des Hardliners Schünemann sogar schlüssiger als diejenige des mäßigenden Kollegen. Immerhin scheint er verstanden zu haben, welch außergewöhnliche Veränderungen das Netz auch beim Entstehen physischer Öffentlichkeiten bewirken kann. Dass er darauf mit dem Verbotsreflex deutscher Ordnungspolitiker reagiert, ist dann wieder ein anderes Thema.

Netzaufrufe bringen – im Gegensatz zu Fußballspielen – Tausende oft ganz bewusst an Orte, die auf den Besuch Tausender überhaupt nicht ausgelegt sind. Die Sachbeschädigungen und Lärmbelästigungen, die darauf gründen, gehören zu diesem Phänomen unbedingt dazu. Sie allein auf ein paar Krawallmacher am Rande zurückzuführen, unterschätzt den – manchmal unbewussten, oft unartikulierten – Willen der Partymachenden, mit der Aktion als solcher gesellschaftliche Grenzen zu verschieben. Dass Thessa mit ihrer Party im Hamburger Vorort Bramfeld zur Ikone wurde, obwohl es Massenpartys und Flashmobs lange davor gab, zeigt das gut: Die Besucher und auch die berichtenden Medien reizte das besonders Inkommensurable, der Ausbruch der Anarchie am undenkbaren Ort, im Herzen der biederen Beschaulichkeit.

Wer diese Beschaulichkeit nun aber mit Verboten schützen möchte, sollte sich dabei einer Sache bewusst sein: In ihrer revolutionären Art, Öffentlichkeiten zu schaffen, gleichen Online-Aufrufe eben nicht einem Fußballspiel. Die Funktionen, die die plötzlichen massenhaften Versammlungen ermöglichen, beerben den Buchdruck, die Schreibmaschine, den Kopierer. Sie sind revolutionäre Medien, die in ihrer Eigenart immer nach mehr Transparenz und Öffentlichkeit streben. Sie stehen damit in einer zutiefst demokratischen Tradition, das haben nicht zuletzt die arabischen Revolutionen gezeigt.

Dass die neuen Organisationsmöglichkeiten sich in Deutschland statt in Aufrufen zu Demonstrationen zunächst nur in „alltagsnahen Witzigkeiten“ (der Netzexperte Peter Kruse im Interview mit dem Tagesspiegel) zeigen, sollten politische Entscheidungsträger hierzulande als Kompliment auffassen – und nicht mit der Forderung nach Zensur beantworten. Genau das aber ist Schünemanns wirkungsvoll ins Sommerloch platziertes Gerede über „Facebook-Partys“: die Forderung nach Zensur eines spezifischen Mediums, die sprachgewaltige Diskriminierung eines bestimmten Kanals zur Organisation von Öffentlichkeit.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Eine Versammlung an einem Ort zu untersagen, dessen Kapazitäten sie sprengt und an dem sie zu einer Gefahr von Leib, Leben und Eigentum anderer wird, ist das eine - und völlig unabhängig davon, wo und wie vorher zu diesem Ereignis aufgerufen wurde. Hexenjagd auf ein Organisationsphänomen zu machen ein anderes. Zu diesem Schluss kommt, wer Schünemann ernst nimmt. Mit Fußball hat das Ganze nichts zu tun. Mit Freiheit schon eher.

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