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Müder Wahlkampf: Angela Merkel verzichtet lieber auf klare Kante.

© dpa

100 Tage vor der Bundestagswahl: Die Merkel-CDU ist startklar für den Einschlafwahlkampf

Im nächsten Regierungsprogramm der Union steht absehbar – nichts. Und das ist durchaus logisch. Die CDU und Angela Merkel sind fest entschlossen, die Wähler in den nächsten 100 Tagen bloß nicht mit Inhalten zu irritieren.

Von Robert Birnbaum

Es ist ein bisschen schade, dass der Preisträger für den Orden wider den tierischen Ernst schon benannt ist. Nicht dass der FDP-Mann Christian Lindner ein schlechter Kandidat wäre für den Aachener Polit-Karneval. Aber noch mehr verdient hätte die Auszeichnung jener anonyme Ironiker, der den Ort ausgesucht hat, an dem CDU und CSU in diesem Jahr ihr Wahlprogramm vorstellen. In den Berliner Opernwerkstätten sind bis vor kurzem die Kulissen für Komische und Staatsoper gebaut worden. Am übernächsten Montag knüpft die Union an diese Tradition an. Angela Merkel und Horst Seehofer präsentieren dort ihr Libretto für weitere vier Regierungsjahre.

Wer von dem Stück Neues oder gar Aufregendes erwartet, dürfte enttäuscht werden. Im „Regierungsprogramm 2014– 2017“ steht absehbar – nichts. Nichts jedenfalls, das nicht längst bekannt und beschlossen wäre aus dem großen Strauß von Vorhaben, die aufs Wahlprogramm verschoben wurden, weil sie jetzt und hier nicht umzusetzen waren. Auch nichts, auf das sich ein ganzer Wahlkampf gründen ließe: Kein großes Reformprojekt, kein zentrales Ziel, keine überraschende Ansage.

Das ist durchaus logisch. In die Oper geht ja auch keiner der Handlung wegen; man will die Sänger hören. Die Union ist fest entschlossen, dieses Prinzip in den nächsten 100 Tagen konsequent auf die Politik zu übertragen. Merkel hat es schließlich nicht als schmetternde Heldendarstellerin, sondern als eher unterkühlte Meisterin des unaufgeregten Pragmatismus zur Beliebtheitskönigin der Deutschen gebracht. Die Bürger, so die durch Demoskopen gestützte Analyse der Parteispitze, schätzen das Gefühl von Sicherheit, das dieser Auftritt vermittelt.

Da würde ein profiliertes Programm nur irritieren. Zwar fürchten intern manche, dass durch all die Demobilisierung die eigenen Wähler mit eingeschläfert werden könnten. Doch solchen Kritikern wird neuerdings schlicht Jürgen Trittin vorgehalten. Der Grünen-Spitzenkandidat hat mit seinem harten Steuererhöhungskurs der Konkurrenz das Schreck- und Mobilisierungsthema geliefert, das die Generalstäbe von CDU und CSU jahrelang vergeblich gesucht haben.

Dabei sind führende Unionspolitiker eines Wahlsiegs alles andere als sicher; und je näher einer Merkel steht, um so vorsichtiger wird er. Sie sind gebrannte Kinder. Merkel stand vor jeder ihrer Wahlen gut da, 2005 sogar sensationell gut – die Ergebnisse blieben jedes Mal mau. Spätestens seit der Niedersachsen-Wahl ist allen wieder bewusst: Beliebtheit schützt vor Abwahl nicht.

Tatsächlich gelten die stolzen Umfragewerte von 40 Prozent und mehr, die die Demoskopen für die Union vermerken, intern als Überbewertung. Schon deshalb, weil ein Teil davon am Wahltag wieder bei den Freien Demokraten landen dürfte. Auch dafür hat Niedersachsen die Blaupause geliefert: Die Liberalen, vorher in fast allen Umfragen unter der Fünf-Prozent-Hürde gehandelt, landeten beim Doppelten. Das macht-mathematische Argument, nur mit Hilfe der FDP könne die CDU weiterregieren, leuchtete zwischen Ems und Elbe vielen CDU-Sympathisanten ein. Und so sehr sich die Bundes-Liberalen im Moment bemühen, in allen möglichen Prinzipienfragen ihre Eigenständigkeit und Distanz zum Regierungspartner herauszustreichen – gegen Ende werden sie die unterschwellige Botschaft „Wählt uns, damit Angela Kanzlerin bleibt“ schon zu platzieren wissen.

Dass das funktioniert, davon geht selbst die Opposition aus. Mit dem Verschwinden der FDP von der Bundesbühne rechnet auch dort keiner. Ob es für eine schwarz-gelbe Mehrheit reicht, steht auf einem ganz anderen Blatt. Derzeit sieht es danach so wenig aus wie nach einem rot-grünen Vorsprung.

Insgeheim spielt längst jeder in Berlin in Gedanken durch, was dann kommen könnte: Schwarz-Grün, ein Dreier-Bündnis zwischen wem auch immer oder die große Koalition? Merkel hat die CDU allseits anschlussfähig gemacht. Auch die Seehofer-CSU ist anpassungsfähiger denn je. Die Ungewissheit über die künftige Koalition dürfte ein Übriges tun, die Polarisierung flach zu halten. Schließlich weiß keiner, ob er nicht dem Konkurrenten, den er gerade noch als üblen Scharlatan beschimpft hat, am 22. September abends einen politischen Heiratsantrag machen muss.

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