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Maskenhafte Kandidaten: Hillary Clinton (links) und Donald Trump.

© Herika Martinez / AFP

13 Tage bis zur US-Wahl: Offene Geheimnisse - warum Wikileaks verpufft

Im Schlussspurt des Wahlkampfs gibt es angebliche Enthüllungen über Charakterzüge Hillary Clintons und Donald Trumps. Ein Kommentar.

Hillary Clintons Instinkte sind selbst aus Sicht ihrer loyalsten Mitarbeiter bisweilen fürchterlich! Und: Donald Trump fürchtet nichts mehr als eine öffentliche Demütigung! Von diesem Kaliber sind die "Enthüllungen" 13 Tage vor der Wahl.

Wikileaks verfehlt die erhoffte Wirkung

Tatsächlich fördern geleakte Emails und das investigative Graben der Journalisten nach unbekannten Quellen immer neue Informationen zu Tage, die in normalen Wahljahren zu Recht Schlagzeilen produzieren. Doch 2016 reagieren viele Beobachter ungewohnt abgeklärt: Wussten wir das, was jetzt als starke Neuigkeit die Runde macht, nicht längst - oder ahnten zumindest?

Die "Washington Post" ordnet die spektakulärsten neuen Erkenntnisse zu Hillary Clintons Email-Affäre in den Kontext der Abläufe ein. Hacker haben Emails ihres Wahlkampfchefs John Podesta gestohlen und sie Wikileaks angeboten. Zuvor hatte die Plattform Clintons Reden vor Bankern publiziert, die ebenfalls durch das Hacken der Podesta-Emails erbeutet worden waren. Wikileaks hofft offenbar auf eine weitere Skandalisierung durch die Veröffentlichung.

Doch auf einmal steht nicht mehr die Empörung über Clintons Verschlossenheit im Vordergrund, denn die ist schon lange kein Geheimnis mehr. Sondern so etwas wie Mitgefühl mit ihren loyalen Weggefährten. Die sind ja selbst zutiefst frustriert über Clintons Verhalten. In einem Moment, in dem sie etwas Reue zeigen und eventuell transparent machen sollte, was sie zur Nutzung ihres privaten Email-Servers brachte, macht sie dicht - als hätte sie nur den aus vielen Krimis bekannten Satz im Kopf: Alles, was Sie sagen, kann gegen Sie verwendet werden.

"Niemand weiß besser, dass ihre Instinkte fürchterlich sind"

Dass Hillary Clinton verschlossen und misstrauisch ist, dass ihr die Fähigkeit ihres Mannes Bill fehlt, unter Druck um Empathie zu werben - das alles weiß Amerikas Öffentlichkeit ja längst. Nun bekommen die USA vorgeführt, wie mühsam das für ihre Mitarbeiter ist. Als im März 2015 die Nachrichten über Clintons privaten Email-Server die Runde machen, mailt ihr designierter Wahlkampfmanager Podesta an Neera Tanden, eine langjährige Freundin der beiden: "Da haben Kendall, Cheryl und Philippe" - gemeint sind Clintons Anwalt und zwei enge Mitarbeiter aus dem State Department - "uns wohl einige Fakten vorenthalten. So viel also zur Transparenz!" - "Warum haben sie die Sache nicht schon vor 18 Monaten bereinigt?", antwortet Neera Tanden ähnlich frustriert. "Ich glaube, ich kenne die Antwort: Sie hofften, dass es nicht herauskommt."

Die Emailaffäre überschattet Clintons offiziellen Wahlkampfstart im April 2015 und wird sie noch Monate belasten, ja im Grunde bis heute. "Das ist alles die Folge katastrophaler Entscheidungen vor Beginn der Kampagne, und die haben mit ihren Instinkten zu tun", beschwert sich Podesta im September 2015. Tanden pflichtet bei: "Wohl niemand weiß besser als ich, dass ihre Instinkte fürchterlich sind."

Ende Oktober 2016 ist das keine Sensation mehr. Diese Seite des Charakters von Hillary Clinton ist allgemein bekannt.

Trumps Alptraum: Nicht mehr ins Fernsehen zu kommen

Mit Donald Trump sind die US-Bürger noch nicht ganz so lange vertraut - genauer: mit den Seiten, die Trump nicht freiwillig offenbart. Nachdem unveröffentlichte Tonbandaufnahmen von 2005, in denen Trump sich auf schwer erträgliche Weise über seinen Umgang mit Frauen äußert, seine Aussichten auf das Weiße Haus beschädigt haben, wertet die "New Ýork Times" nun die letzten Interviews aus, die er gab, ehe er sich zur Kandidatur entschloss. Zu den schlimmsten Dingen für Donald Trump gehört demnach eine öffentliche Niederlage. Misserfolg eingestehen, nicht mehr als Sieger dazustehen, das ist für ihn offenbar unerträglich.

"Tot wie ein Türnagel, tot wie Hundefleisch", sagt er über einen gefallenen Entertainmentstar, Arsenio Hall - und es klingt, als sei solch ein Schicksal sein schlimmster Alptraum. "Der kam nicht mal mehr ins Fernsehen. Die haben nicht mal seine Anrufe angenommen."

Sein Biograph bietet dem Clinton-Team fünf Stunden Tonbänder an

Auch diese Erkenntnisse sind einer Art "Leak" zu verdanken. Der Journalist d'Michael d'Antonio hatte Trump 2014 mehrere Stunden lang interviewt, um eine Biografie über ihn zu schreiben - ehe Trump sich zur Präsidentschaftskandidatur entschloss. Die Biografie erschien und erfüllte den Zweck, Trump zu entlarven. D'Antonio wollte offenbar einen größeren Scoup - und bot sein Rohmaterial der Clinton-Kampagne an. Die machte nichts daraus, zumindest nicht öffentlich. Nun hat es irgendwie den Weg in die Medien gefunden.

Auch diese Enthüllungen, die in der ersten Hälfte des Wahljahres noch sensationell gewesen wären, hauen heute niemanden mehr vom Hocker. Dass Trump ein Narziss und Egomane ist, kann kaum noch jemanden überraschen. Trotz aller Lügen und Spiegelfechtereien bleiben die grundlegenden Charaktereigenschaften der Kandidaten in dem langen und schonungslosen US-Wahlkampf auf Dauer nicht verborgen.

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