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Hillary Clinton bereitet ihre angebliche Nähe zur Wall Street Probleme.

© Getty Images/iStockphoto

22 Tage bis zur US-Wahl: Moskau manipuliert den Kampf ums Weiße Haus

Von Clintons Emails bis zu Handelsabkommen: Geheimdienste nehmen mit Hackern Einfluss auf demokratische Prozesse. Es droht Transparenz-Anarchie. Ein Kommentar.

Auf einmal verstehen sich Donald Trumps rechte Anhänger und linke Wikileaks-Fans bestens. Dank Email-Leaks sehen sie Hillary Clinton als doppelzüngige Politikerin entlarvt. „Wenn jeder zuschauen kann, bei den Diskussionen hinter verschlossenen Türen und den Deals, dann werden die Leute nervös. Also braucht man beides, eine öffentliche und eine private Position“, hatte sie in einer geleakten Rede vor Bankern gesagt.

Erwischt! Ein Plädoyer für Intransparenz

Gesetze, Verträge – sprich: Lösungen – seien nur erreichbar, sagt Clinton, wenn es ein Mindestmaß an Diskretion gebe. Das liest sich wie ein Plädoyer für ein bisschen Intransparenz.

Erwischt!

Erwischt? Transparenz ist wichtig für die Demokratie. Es ist ein Fortschritt, dass die politischen Prozesse heute penibler überprüft werden als früher. Aber man kann das Ideal auch zu weit treiben. Praktiker der Politik wissen, dass Clinton Recht hat. Hätte es die Abrüstung, die Friedensschlüsse im Nahen Osten, die Ostverträge, die deutsche Einheit, Freilassungen von Geiseln gegeben, wenn die Verhandlungen vor offenen Mikrofonen geführt worden wären? Ähnliches gilt für Kompromisse beim Länderfinanzausgleich, im Tarifstreit, in der Euro- und Griechenlandkrise sowie im Gesetzgebungsprozess im Bundestag. Um auszuloten, wer wo eventuell nachgeben könnte, ohne als Verlierer dazustehen, ist ein „geschützter Raum“ nötig. Sonst gibt niemand nach.

Es ist überhaupt nicht skandalös, wenn Clinton reklamiert, sie müsse in der Öffentlichkeit, wenn sie um Unterstützung für ihre Ziele wirbt, anders reden dürfen als hinter verschlossenen Türen, wenn sie mit Partnern, die andere Interessen haben, auslotet, was erreichbar ist. Sie ist da auch nicht doppelzüngig. Sie hat diese Haltung immer vertreten.

Warum gelingt die Skandalisierung? Wer steckt dahinter?

Interessant ist, dass die Skandalisierung gelingt. Und wer sie vorantreibt. Die Spuren der Hacker führen nach Russland. Warum hat Wikileaks bei manchen im Westen überhaupt noch Heldenstatus? Die Plattform agiert offenkundig als verlängerter Arm des russischen Geheimdienstes. Der macht vielfältige Anstalten, um die US-Wahl zu Trumps Gunsten zu manipulieren. Pünktlich zum Parteitag der Demokraten publizierte Wikileaks Emails führender Demokraten, die Zwietracht sähten. Nun der Angriff auf Clinton. Sogar Einbrüche in Computer zur Wahlauszählung sind nachgewiesen.

Die russischen Schlapphüte werden sich noch schlapper lachen. Sie pervertieren das Ideal einer transparenten Demokratie im Westen. Ihr Land und ihr autoritäres Regime zeigen keinerlei Transparenz. Und die westlichen Transparenz-Jünger fragen nicht mal ernsthaft nach, aus welchen Quellen ihre Munition kommt, alssen sich von Moskau willig instrumentalisieren. Keines der viel gepriesenen Investigationsteams nimmt sich des Themas an.

Aber vielleicht besteht Hoffnung. In der deutschen Debatte um die Freihandelsabkommen gibt es jedenfalls neue Töne. Auch da legen manche Gegner einen weltfremden Maßstab an die Transparenzerfordernisse an. Tatsächlich erfährt die Öffentlichkeit über jede Verhandlungsrunde zu Ceta oder TTIP mehr als über nationale Gesetzgebungsprojekte. Jeder, der will, kann inzwischen vorab wissen, wer wann wo tagt und zu welchen Themen und mit welchen Vorschlägen die Delegationen in die Gespräche gehen – und doch behaupten die Gegner, die Gespräche seien „geheim“. Dann müsste man auch den deutschen Gesetzgebungsprozess als geheim bezeichnen, denn auch da ist die Öffentlichkeit nicht bei allen internen Beratungen live dabei.

Auch der Protest gegen Freihandel lebt von Hackern, Leaks, Skandalen

Die Klage gegen Ceta vor dem Bundesverfassungsgericht hat nun aber auch Politiker, die die Verhandlungen kritisch begleiten wie der grüne Europa-Abgeordnete Sven Giegold, dazu gebracht, das Weltbild und die Motivationen mancher Gegner zu hinterfragen. „Unverhohlenen Nationalismus“ wirft er ihnen vor. Und einen Unwillen, die demokratisch abgesegnete Kompetenzverteilung zwischen EU und Nationalstaaten zu respektieren. Sobald ihnen ein Inhalt nicht passt, stellen sie die Legitimation des Europaparlaments in Frage und verlangten, bei Fragen, die in EU-Kompetenz fallen, müssten die nationalen Parlament das letzte Wort haben. Auch bei den Handelsabkommen versuchen anonyme Kräfte, durch Leaks die Öffentlichkeit zu beeinflussen.

Es gibt gewiss Bereiche, wo mehr Transparenz nötig ist. Heute droht die größere Gefahr im Westen aber nicht von einem Staat, der alles geheim hält und die Bürger überwacht. Sondern von einer Transparenz-Anarchie, wie das Charles Lane in der "Washington Post" genannt hat, in der ausländische Geheimdienste durch Hackerangriffe und ausgewählte Skandalisierung die demokratischen Prozesse manipulieren.

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