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Gewohntes Bild. Die Angeklagte Beate Zschäpe im Gerichtssaal im Oberlandesgericht in München.

© dpa

225. Tag im NSU-Prozess: Das Mammut-Verfahren geht weiter

Einen Monat dauert die Sommerpause - doch schon am ersten Tag danach traten im NSU-Prozess alte Konflikte wieder auf.

Von Frank Jansen

Vier Wochen Sommerpause mögen erholsam sein, dämpfen aber nicht zwangsläufig einen Konflikt. Das war am Mittwoch im NSU-Prozess zu spüren, als Olaf Klemke, einer der Verteidiger des Angeklagten Ralf Wohlleben, lautstark mit einer Anwältin der Nebenklage über einen eher unwesentlichen Vorhalt aus Akten stritt und zudem versuchte, die Richter unter Druck zu setzen. Anlass war der nochmalige Auftritt des Zeugen Kay S. im Saal A 101 des Oberlandesgerichts München. Der ehemalige Skinhead hatte im April unangenehme Geschichten über Wohlleben und die Hauptangeklagte Beate Zschäpe erzählt - und über sich selbst.  Klemke verlangte nun vom 6. Strafsenat, Kay S. müsse vereidigt werden, um ihn zu zwingen, falsche Angaben zu korrigieren. Doch Klemke lief vor eine Wand.

Erst verfügte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl, der Zeuge werde nicht vereidigt. Einen Grund nannte Götzl nicht. Klemke beanstandete die Verfügung und forderte einen Beschluss des gesamten Strafsenats. Den verkündete Götzl dann nach der Mittagspause – der Zeuge bleibe unvereidigt, es sei nicht ersichtlich, dass er „unter Eideszwang“ Tatsachen anders schildern würde. Klemke sagte dann nichts mehr. Aber er hatte erneut demonstriert, dass sich die Verteidiger des Angeklagten Wohlleben bissig, wenn nicht rabiat  gegen dessen unvermeidlich erscheinende Verurteilung wehren.

Nützen wird es vermutlich kaum. Der Strafsenat hat mehrere Anträge auf  Entlassung des Ex-NPD-Funktionärs aus der Untersuchungshaft abgewiesen und dies mit weiterhin dringendem Tatverdacht begründet. Wohlleben soll laut Anklage maßgeblich an der Beschaffung der Pistole Ceska 83 mitgewirkt haben. Mit der Waffe hatten die NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft erschossen. Wohlleben selbst schweigt beharrlich, doch der Mitangeklagte Carsten S. hat ihn massiv belastet. Den härtesten Schlag hat allerdings der Bundesgerichtshof Wohlleben versetzt.

Im Februar verwarfen die Richter in Karlsruhe nicht nur eine Beschwerde des Angeklagten gegen den Verbleib im Gefängnis. Der BGH bescheinigte Wohlleben ebenfalls den dringenden Verdacht der Beihilfe zu neun Morden – und für den Fall einer Verurteilung eine Strafe, die auch die schon seit November 2011 andauernde Untersuchungshaft „nicht nur unwesentlich“ übersteigen dürfte. Damit dürfte der einstige Vizechef der Thüringer NPD kaum noch einer langen Haft entrinnen können.

Wohllebens Anwälte bleiben aggressiv

Wohllebens Anwälte, allen voran Klemke, setzen nun erst recht auf einen offensiven, oft auch aggressiven Ton. Dazu gehört, einen Zeugen wie Kay S. einer Vereidigung aussetzen zu wollen. Der frühere Skinhead hatte mit seiner Geschichte die Verteidiger offenbar massiv geärgert. Kay S. gab im Gericht an, Wohlleben, Zschäpe und er selbst seien dabei gewesen, als Mundlos und Böhnhardt im April 1996 an einer Autobahnbrücke bei Jena einen Puppentorso aufhängten, der als „Jude“ gekennzeichnet und mit einer Bombenattrappe verbunden war. Der Zeuge gestand sogar, in dem Verfahren zu der Straftat falsch ausgesagt zu haben.

Das war noch nicht alles. Kay S. berichtete auch, Wohlleben habe von ihm nach dem Abtauchen von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe im Jahr 1998 Geld für die drei gefordert – mit „schönem Gruß von Herrn Böhnhardt“ und dem offenbar erpresserisch gemeinten Hinweis, Kay S. habe doch mal eine Falschaussage gemacht. Der Zeuge will allerdings nicht gezahlt haben.

Die Tagesspiegel-Chronik des NSU-Prozesses finden Sie hier.

Verteidiger Klemke bezichtigte Kay S. der Lüge. Der Zeuge hatte vor dem Prozess bei seiner Vernehmung durch das Bundeskriminalamt weder von dem Puppentorso noch von der Geldforderung berichtet. Daraus konstruierte Klemke nun den abstrus anmutenden Vorwurf, Kay S. habe in der Hauptverhandlung gelogen, da er doch dem BKA eine „Lebensbeichte“ angekündigt habe, die härteren Geschichten aber verschwieg.

Es war absehbar, dass Richter Götzl und seine Kollegen darin keinen Grund für eine Vereidigung erkennen würden. Offenkundig sahen das Zschäpes Verteidiger genauso. Die vier Anwälte schlossen sich dem Antrag Klemkes nicht an, obwohl Kay S. auch Zschäpe mit dem Fall Puppentorso in Verbindung gebracht und somit den Verdacht verstärkt hatte, die Angeklagte sei schon vor dem Gang in den Untergrund eine kriminelle Rechtsextremistin gewesen. Dass die Verteidiger nun stillschweigend gemeinsam handelten, muss allerdings nicht bedeuten, dass sich ihr schwieriges Binnenverhältnis in der Sommerpause verbessert hätte. Zschäpe jedenfalls demonstrierte wie schon im Juli, dass sie nur mit ihrem neuen Anwalt Mathias Grasel zu kommunizieren gedenkt. Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm beachtete sie am Mittwoch nicht.

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