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Fahnen vor der UN-Zentrale in New York

© dpa

40 Jahre Deutschland in den UN: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

28 Jahre nach der Gründung sind die DDR und die Bundesrepublik den Vereinten Nationen beigetreten. Die Führungsansprüche an das wiedervereinigte Deutschland wachsen beständig. Doch Berlin hat keine einheitliche UN-Strategie.

Am Ende, erinnert sich der 91-jährige SPD-Politiker Egon Bahr, seien nur noch zwei gegen einen Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinten Nationen gewesen. Auf die sei es am 18. September 1973 dann aber nicht mehr angekommen. Bahr, der beim Festakt anlässlich des 40. Jahrestags des Beitritts der beiden deutschen Staaten zu den UN im Auswärtigen Amt sprach, machte eine kurze Pause und sagte dann: "Albanien und die CDU." Der ehemalige Außenminister und Kabinettskollege, der 86-jährige Hans-Dietrich Genscher (FDP), kicherte.

17 Jahre lang sind die Bundesrepublik und die DDR gleichzeitig Mitglied der Vereinten Nationen gewesen. Dass die friedliche Koexistenz der beiden deutschen Staaten bei allem betonten Pragmatismus gelegentlich ganz schön ungemütlich werden konnte, hat sich bei der zweitägigen Fachkonferenz der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN) zum 40. Geburtstag Deutschlands in den UN gezeigt. Ehemalige UN-Diplomaten der beiden deutschen Staaten haben sich in einer lebendigen Geschichtsstunde an einige solcher Momente erinnert. Die DDR habe bei jeder Gelegenheit versucht, die deutsche Unterstützung für das Apartheid-Regime in unzähligen Resolutionen verurteilen zu lassen. Dafür haben die Westdeutschen dann die von Moskau finanzierte Swapo in Namibia gekapert.
Professor Hans-Joachim Vergau, ehemaliger stellvertretender UN-Botschafter in New York für Bonn, freut sich heute noch, wenn er sich an den politischen Coup seines damaligen Chefs, Hans-Dietrich Genscher erinnert, die namibische Befreiungsbewegung Swapo auf dem Weg in die Unabhängigkeit zu unterstützen. „Im Ostblock dachten sie, die seien Sozialisten“, sagte Vergau grinsend. Mit dieser Entscheidung verwirrte Genscher aber in den späten 1970er Jahren nicht nur die DDR-Diplomaten. Der damalige bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß (CSU) – „ein großer Vorgänger von Horst Seehofer“ (Vergau) – habe einen Haftbefehl gegen den Swapo-Chef und späteren Präsidenten Namibias, Sam Nujoma, beantragt. Genscher habe die Swapo und eine Gruppierung von Namibia-Deutschen zu den geplanten Verhandlungen dann nach Paris einladen müssen. Vergau vergaß auch nicht zu erwähnen, dass die namibische Staatswerdung nur deshalb möglich geworden sei, weil Bonn so gute Kontakte zur südafrikanischen Regierung in Pretoria gehabt habe. Denn zu der Zeit war Namibia von südafrikanischen Truppen besetzt.
Bernhard Neugebauer, ehemaliger stellvertretender UN-Botschafter der DDR in New York und später Vize-Außenminister der DDR, erinnerte daran, dass die UN-Mitgliedschaft für die DDR ein „großer außenpolitischer Erfolg“ gewesen sei, der sie „aus der Isolation herausgebracht“ habe. Er erinnerte sich aber auch, wie eng die Bindung der DDR an die Sowjetunion auch im UN-Rahmen gewesen ist. Bis heute bedauert er, dass die DDR gegen ihre Überzeugung der UN-Resolution 3379 zugestimmt habe, die den Zionismus in Israel mit dem Rassismus gleichgestellt habe. Die Bundesrepublik hatte, stimmte der Hamburger Professor Manfred Knapp zu, „mehr Handlungsspielraum“, obwohl auch sie im Kalten Krieg meistens bündnistreu gewesen sei. Neugebauer nutzte seinen Auftritt im Auswärtigen Amt auch dazu, dem Münchener Wissenschaftler Ulrich Eisele einen Packen Dokumente über die Zeit der Vereinigung der beiden UN-Vertretungen in New York nach dem Fall der Mauer zu übergeben. "Was für ein Privileg, so eine Geschichtsstunde live miterleben zu dürfen", sagte Ulrike von Pilar, die viele Jahre lang Geschäftsführerin der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen gewesen war.
20 Jahre nach der Vereinigung wachsen die Erwartungen an Deutschland. Darüber sind sich Professor Johannes Varwick von der Universität Halle-Wittenberg und Miguel Berger völlig einig. Berger war bis Juli 2013 stellvertretender UN-Botschafter Deuschlands in New York. Vor allem werde von Deutschland mehr Engagement bei UN-Blauhelmeinsätzen erwartet. Mit dieser Feststellung endete die Einigkeit der beiden dann allerdings auch. Denn Varwick warf Deutschland vor, sich überall raushalten zu wollen, wo es weh tue. Dagegen stellte Berger heraus, wie intensiv sich Deutschland dafür einsetze, dass mehr zur Vermeidung von Konflikten getan werde. Auch am zweiten Tag ging es um dieses Spannungsverhältnis. Oberstleutnant Manfred Ertl, der als Militärberater im Auswärtigen Amt arbeitet, beschwor, das "Primat politischer Lösungen". Thorsten Benner vom Global Public Policy Institute (GPPI) sprach dagegen über die Ungleichgewichtigkeit zwischen dem deutschen Führungsanspruch auf einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat und der deutschen Bereitschaft, UN-Friedenseinsätze mit Personal, Material oder spezialisierter Expertise zu unterstützen. Das Panel Friedenssicherung war das kontroverseste.

Das kritischste Panel war das zu Deutschlands Rolle im UN-Prozess zu Umwelt und Entwicklung. Silke Weinlich vom Käte-Hamburger-Kolleg in Duisburg und Steffen Bauer vom Deutschen Institut für Entwicklungsforschung (DIE) in Bonn beschrieben die widersprüchliche Rolle Deutschlands in diesem Politikfeld. Einerseits beansprucht Deutschland bei der Klimapolitik immer wieder eine Führungs- und Vorreiterrolle. Doch die werde "nicht eingelöst", kritisierte Jürgen Maier vom Forum Umwelt und Entwicklung. Andererseits sei mehr Geld für die UN auch nicht immer die vordringliche Lösung, betonte Uschi Eid, ehemalige Staatssekretärin im Entwicklungsministerium und langjährige grüne Bundestagsabgeordnete. Sie beschrieb aus ihrer Erfahrung als stellvertretende Vorsitzende des Beratungsausschusses des UN-Generalsekretärs zu Wasser und sanitärer Grundversorgung die Auswüchse der UN-Bürokratie. "Es gibt 23 UN-Gremien, die sich mit Wasser beschäftigen", stellte sie fest. Eine Koordinierung mit Blick auf die Entwicklung der geplanten Nachhaltigkeitsziele (SDGs), die möglicherweise 2015 die Milleniums-Entwicklungsziele (MDGs) ablösen sollen, konnte Eid nicht erkennen.

Ähnlich unübersichtlich ist die Gremienlage beim Thema Menschenrechte, berichtete Professor Heiner Bielefeldt, derzeit UN-Sonderberichterstatter über Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Dabei ist das Politikfeld mit der Schaffung des UN-Menschenrechtsrats 2006 komplett neu organisiert worden. Trotzdem gibt es weiterhin mehr als zehn Kommissionen, die die Einhaltung der einschlägigen Menschenrechtskonventionen überwachen sollen, ohne dafür über großartige Sanktionen zu verfügen.

Das Fazit von 40 Jahren deutscher Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen hat aber UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in New York gezogen. „Deutschland ist eines der aktivsten Mitglieder dieser Gemeinschaft“, sagte er.„Die Deutschen sind der drittgrößte Beitragszahler“, sagte er dem deutschen UN-Botschafter Peter Wittig. „Und so oft verlassen wir uns auf Sie.“ Erst 28 Jahre nach der Gründung der Vereinten Nationen gelang es der DDR und der Bundesrepublik am 18. September 1973, als 133. und 134. Mitglied beizutreten. Westdeutschland hatte zwar schon seit 1952 eine „ständige Beobachtermission“ und zahlte erhebliche Summen in das UN-System ein. Doch eine Vollmitgliedschaft wollte die Bundesrepublik nicht, weil sie dann die DDR hätte anerkennen müssen. Der Beitritt fiel dann in eine Phase der Entspannungspolitik nach dem Grundlagenvertrag zwischen den beiden deutschen Staaten. Seit der Wiedervereinigung ist der deutsche Einfluss bei den Vereinten Nationen gestiegen. Doch nach Einschätzung der deutschen Regierungen seit Kanzler Gerhard Schröder (SPD) nicht groß genug. Seither bemüht sich Deutschland um einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat – ziemlich erfolglos. „Wenn wir die Rolle der Vereinten Nationen, gerade auch für Frieden und Menschenrechte, für Konfliktprävention stärken wollen, dann ist es wichtig, dass diese Vereinten Nationen die Welt wiedergeben, wie sie heute ist – nicht wie sie war nach Ende des Zweiten Weltkrieges“, argumentiert Außenminister Guido Westerwelle (FDP). International wachse die Einsicht in die Reformbedürftigkeit der UN. Das stimmt zwar, doch das Argument spricht eigentlich eher für eine stärkere Beteiligung der Schwellen- und Entwicklungsländer am wichtigsten UN-Gremium. Allerdings sind alle Versuche einer UN-Reform der vergangenen zehn Jahre am Widerstand der Vetomächte im UN-Sicherheitsrat gescheitert.

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