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Lautstark. Frauen protestieren am Dienstag in Kairo gegen Gewalt. Foto: dpa

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Ägypten: Wer steuert das Land?

Der ägyptische Militärrat hat die Macht, aber er regiert nicht Und die Muslimbrüder warten ihren Wahlsieg ab, bevor sie sich positionieren. Werden sie den Machtkampf wagen?

Das abermals brutale Vorgehen der ägyptischen Armee gegen Demonstranten in Kairo, insbesondere die Bilder von Gewalt gegen Frauen, werfen die Frage auf, wohin Ägypten derzeit marschiert. Der regierende Hohe Militärrat hat sich zwar abermals für das Verhalten der Sicherheitskräfte entschuldigt; aber dies hat er schon mehrfach getan, ohne dass sich etwas verändert hat. Und genau das ist das Problem: Polizei und Armee wurden nicht reformiert, alte Verhaltensmuster, die brutales Vorgehen gegen zivilen Protest beinhalten, werden offensichtlich nicht hinterfragt oder geahndet.

Die Armee scheint sich darauf zu verlassen, dass eine Bevölkerungsmehrheit ihr wohlgesonnen ist und die Vertreibung der als Randalierer beschriebenen wenigen Demonstranten im Stadtzentrum gutheißt. Aber die Szenen, wie auf am Boden liegende Frauen eingeschlagen und eine Frau teilweise entkleidet wird, treffen eine extrem konservative, islamistische Bevölkerungsmehrheit ins Mark: Die Bilder haben vielen Ägyptern die Augen geöffnet, weil sie keinen Unterschied sehen zum brutalen Vorgehen gegen die Bevölkerung unter Ex-Präsident Hosni Mubarak. Damit wurden in dem anstehenden Machtkampf zwischen Militär und islamistischen Gruppen, die wohl das neue Parlament dominieren werden, eindeutig die Muslimbrüder gestärkt.

Das Problem ist, dass niemand wirklich den sogenannten Übergangsprozess steuert. Der Militärrat hat die Macht, aber er regiert nicht. Die von ihm ernannte Regierung bezeichnet der an der Freien Universität in Berlin ausgebildete Wissenschaftler Amr Hamzawi, der im Kairoer Stadtteil Heliopolis gegen die Muslimbrüder einen Parlamentssitz errang, als „Sekretariat“ des Militärrates. Gleichwohl äußern sich weder Militärrat noch Regierung zu den drängendsten Fragen wie Neuaufstellung der Polizei, Ankurbelung der Wirtschaft und Abbau sozialer Ungerechtigkeit. Der Militärrat hält Distanz zu allen politischen und gesellschaftlichen Gruppen und arbeitet nicht aktiv auf deren Einbindung hin, wie dies in einem Transformationsprozess nötig wäre.

Selbst darüber, wer die neue Verfassung ausarbeiten darf und welche Vollmacht das Parlament haben soll, herrscht völlige Unklarheit. Kürzlich wurde ein ziviles Beratungsgremium des Militärrates geschaffen, das angeblich festlegen soll, wer an der Verfassung mitarbeiten darf. Prominente Liberale boykottieren das Gremium, das sie als weiteres Feigenblatt für die Militärherrschaft sehen. Aber auch die Muslimbrüder haben die Mitarbeit eingestellt. Obwohl sie bisher die offene Konfrontation vermeiden, weil das Militär dafür sorgen soll, dass die Wahlen durchgeführt werden und die Islamisten ihren Wahlsieg einfahren können. Ad-hoc-Entscheidungen auf allen Seiten.

Entscheidend wird sein, ob die Islamisten nach ihrem absehbaren Wahlsieg Ende Januar den offenen Machtkampf mit dem Militär wagen werden. Auch der völlige Zusammenbruch der Wirtschaft, der sich abzeichnet, könnte alle zu einem dramatischen Umdenken zwingen.

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