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Nicht mehr im Warenkorb für Hartz-IV-Bezieher: Alkohol und Zigaretten. Trotzdem müsste bei der Regelsatzberechnung mehr herauskommen, sagt die Linkspartei.

© Lukas Barth/dpa

Hartz IV: Alles Berechnung: Kritik an den neuen Regelsätzen

"Trickserei", "Mauschelei", "Vertuschung" – die Vorwürfe der Opposition gegen Ursula von der Leyen wiegen schwer. Die Linkspartei wirft der Arbeitsministerin vor, bei der Ermittlung der Hartz-IV-Regelsätze von falschen Daten auszugehen.

Berlin - Mit der Neuberechnung der Hartz-IV-Regelsätze löste die CDU-Ministerin Empörung aus: nicht nur, weil sie Produkte wie Alkohol und Tabak aus dem Grundbedarf für Langzeitarbeitslose herausrechnen ließ, sondern auch, weil für die Ermittlung des Existenzminimums eine andere Vergleichsgruppe gewählt wurde als bisher. Bei der Berechnung der Regelsätze für Erwachsene gelten nicht mehr die Ausgaben der unteren 20 Prozent der Einkommensbezieher als Maßstab, sondern nur noch der unteren 15 Prozent. Das Ergebnis: Für Hartz-IV-Empfänger soll es ab 2011 nur fünf Euro mehr im Monat geben.

Dabei müsste der Regelsatz bei rund 380 Euro liegen, wenn die Bundesregierung wie bisher das untere Fünftel der Einkommensbezieher als Vergleichsgruppe gewählt hätte – 16 Euro mehr als derzeit geplant. Das geht aus Berechnungen der Linken-Bundestagsfraktion hervor, die dem Tagesspiegel vorliegen. Diese beruhen auf den Alternativberechnungen des Statistischen Bundesamts aus der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) 2008, die das Arbeitsministerium bisher unter Verschluss gehalten hat und die nun am Freitag dem Ausschuss für Arbeit und Soziales zur Verfügung gestellt wurden. „Es ist nicht mehr zu leugnen, dass der Regelsatz kleingetrickst wurde. Allein durch die willkürliche Veränderung der Bezugsgruppe werden die Betroffenen um 16 Euro pro Monat gebracht“, kritisiert Ausschuss-Chefin Katja Kipping (Linke).

In den vergangenen Tagen widersprach die Arbeitsministerin mehrmals dem Eindruck, ihre Beamten hätten die Vergleichsgruppe geändert. Nach wie vor werde das untere Fünftel auf der Einkommensskala betrachtet. Das stimmt allerdings nur halb. Tatsächlich rechnet das Arbeitsministerium anders als in der Vergangenheit. Von den 60 000 repräsentativ ausgewählten Haushalten, die für das Statistische Bundesamt drei Monate lang Haushaltsbücher über all ihre Ausgaben führen, finden sich in den unteren Einkommensschichten auch Bezieher von Hartz IV oder der Grundsicherung. Die aber, so verlangt es auch das Bundesverfassungsgericht, müssen herausgerechnet werden. Ansonsten würde sich die Höhe der Transfers danach richten, wie viel Geld staatliche Transferempfänger bekommen – ein Zirkelschluss.

Mit der Einführung von Hartz IV ist die Zahl der ärmeren Transferbezieher deutlich gestiegen, daher mussten bei der EVS 2008 mehr Menschen herausgerechnet werden als 2003, als es noch die alte Sozialhilfe gab. Das Arbeitsministerium hat jetzt bei der Neuberechnung die Statistiker beauftragt, erst die unteren 20 Prozent auszuwählen und dann aus dieser Gruppe die Hartz-IV-Empfänger herauszurechnen. Als Referenzgruppe bleiben lediglich 15 Prozent, wie auch im Gesetzentwurf nachzulesen ist. Bisher war es so, dass erst die Sozialhilfeempfänger abgezogen wurden und dann die darüber liegenden 20 Prozent der untersten Einkommensbezieher ausgewählt wurden. Das führt dazu, dass heute in der Vergleichsgruppe Haushalte betrachtet werden, die maximal 901 Euro im Monat zur Verfügung haben, während es vor fünf Jahren Haushalte mit maximal 940 Euro waren – immerhin 39 Euro mehr im Monat. Hätte die Bundesregierung bei der Neuberechnung den bisher geltenden Maßstab verwendet, wären Einpersonenhaushalte mit Monatseinkommen bis 990 Euro berücksichtigt worden.

Auf Basis dieser „Tricksereien“ könne es keinen Kompromiss geben, sagt die Linken-Politikern Kipping. Ihre Partei werde eine unabhängige Kommission einsetzen, die transparent ausrechnen solle, wie hoch ein verfassungskonformer Regelsatz sein müsse.

Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband hält die neuen Rechenregeln für „nicht nachvollziehbar“. Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider kritisierte, vor allem die Ermittlung der Kinderregelsätze sei weder sachgerecht noch auf verlässliche Daten gestützt. Da je nach Alter der Kinder nur zwischen 168 und 237 Haushalte erfasst wurden, kann das Statistische Bundesamt bei zahlreichen Ausgabepositionen keine verlässlichen Daten liefern, weil die Fallzahlen mit weniger als 25 Haushalten zu klein sind. So beruhe bei den 14- bis 18-jährigen Jugendlichen die Hälfte des errechneten Regelsatzes auf „extrem unzuverlässigen“ Zahlen, kritisiert Schneider.

Trotz aller Kritik bleibt die Arbeitsministerin bei ihrer bisherigen Linie. Am Donnerstagabend stellte Leyen im ZDF klar: Der von der Koalition vereinbarte Aufschlag von fünf Euro sei ihr „letztes Wort für diesen Regelsatz“.

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