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Minister Guttenberg: Antreiben, übertreiben

Ein Minister, der hart durchgreift – das möchte Karl-Theodor zu Guttenberg sein. Er nutzt seine Popularität zu immer neuen Regelübertretungen. Bisher kam er damit erstens immer durch und zweitens durchaus gut an. Doch wer genau hinguckt, sieht dieses System nun wanken.

Von Robert Birnbaum

Der massige Mann blickt kurz herüber und versucht, keine Miene zu verziehen. Da drüben auf der anderen Galerie im Paul-Löbe-Haus tagt immer mittwochs der Verteidigungsausschuss. Heute stehen jede Menge Journalisten und ein Wald von Kamerastativen draußen vor dem Sitzungssaal 2.700. Drinnen wird der Verteidigungsminister seit zwei Stunden einvernommen. Der massige Mann kennt das. Er schaut wieder nach vorn und geht weiter. Aber still vergnügt vor sich hin schmunzeln muss er jetzt doch. Franz Josef Jung ist halt kein besonders guter Schauspieler.

Nicht allein auf dem Gebiet der Schauspielerei gilt der junge Mann als Naturtalent, der zweieinhalb Stunden später mit forschem Wippen auf den Kamerawald zueilt. Nur der ungewohnt rote Teint lässt erahnen, dass Karl-Theodor zu Guttenberg in diesem Moment nicht ganz so souverän ist, wie er gerne wirken würde. Auch die lässige Hand in der Hosentasche ist eine Spur zu fest da hineingestopft. Guttenberg ist gereizt. Sie sollten doch lieber Zeitung lesen, statt ihn zum vierten Mal dasselbe zu fragen, hat er hinter der verschlossenen Tür die Abgeordneten angefahren. „Ich habe den Eindruck, dass das, was da an Vorwürfen gelaufen ist, wie ein morsches Dachgewölbe in sich zusammengebrochen ist“, sagt er draußen in die Mikrofone. „Das gehört zum politischen Spiel irgendwie dazu.“

Keiner hat es bisher so geschickt verstanden, dieses Spiel zu spielen und zugleich den Eindruck zu vermitteln, dass für ihn die Regeln nicht gelten, irgendwie. Das ist ganz hohe Schule. Doch es funktioniert nur so lange, wie niemand den Trick durchschaut. Und es ist nur so lange einfach, wie nur die politische Konkurrenz über Foulspiel jammert. Guttenberg geht aber langsam auch der eigenen Truppe auf die Nerven. Franz Josef Jung ist bei Weitem nicht der Einzige, der mit sardonischem Lächeln zuschaut, wie der Minister Superstar gerade auch mal zu kämpfen hat.

Da ist natürlich eine Menge Neid dabei. Seit Friedrich Merz hat die Union keinen mehr gehabt, dem draußen im Land derart die Herzen entgegenfliegen. Aber selbst Merz war immer noch Teil des politischen Systems. Guttenberg ist irgendwie anders, ohne dass bisher jemand hat sagen können, was dieses andere eigentlich ist. Der Adelsfaktor – ja sicher. Der Glamourfaktor mit Stephanie, die in den einschlägigen bunten Blättern schon mal als „Fast-First-Lady“ hofiert wird – gewiss. Redegewandtheit, strahlendes Auftreten und perfektes Bild noch in schwerer Schutzweste – alles richtig. Trotzdem bleibt ein unerklärter Rest. „Er hat irgendwas, das haben wir alle nicht“, sagt einer, der es in der Politik trotzdem weit gebracht hat.

Eine Frage ist, was so einer mit so viel Gunst der Götter anfängt. Guttenbergs Antwort hat etwas Atemberaubendes: Er nutzt seine Popularität zu immer neuen Regelübertretungen. Einen Talkmaster mitsamt Mannschaft und Kulisse ins Krisenland Afghanistan fliegen lassen für eine Show, die man problemlos in einem Hangar in Köln-Wahn hätte abziehen können – jedem anderen wären die 17 000 Euro Steuerzahlergeld aus dem Bundeswehr-PR-Etat um die Ohren geflogen. Guttenberg nicht. Sein Bündnis mit dem Volk, dieses Bündnis eines scheinbaren Antipolitikers mit den politikmüden Bürgern, schützt ihn. Er darf sich das rausnehmen. Oder soll man sagen: durfte? Denn inzwischen fallen selbst bei Leuten, die zu seinen Fürsprechern zählen, sehr skeptische Sätze. „Er übertreibt es“, sagt einer. „Und die Leute merken das.“

Jedenfalls könnten sie es merken, wenn sie genauer hingucken. Die Bundeswehr-Affären der letzten Tage liefern ja Anschauungsmaterial genug. Die Sachverhalte selbst sind gar nicht so furchtbar brisant. Ein junger Soldat erschießt, ob aus Leichtsinn oder nicht, versehentlich den besten Freund. Zur Affäre wurde das erst, weil das Ministerium den Verteidigungsausschuss nicht nach Form und Inhalt korrekt informierte – was Guttenberg inzwischen selbst einräumen musste. Ob hinter der geplünderten Feldpost aus Afghanistan ein Skandal steckt oder ein dummer Zufall, ist bis heute unklar.

Aber da ist noch die „Gorch Fock“. Als im November eine 25-jährige Kadettin aus der Takelage des Schulschiffs in den Tod stürzte, zog die Marineführung den gesamten Ausbildungstörn ab in die Heimat. Der SPD-Wehrexperte Rainer Arnold fragte kurz darauf im Ausschuss nach Meuterei-Gerüchten. Marineinspekteur Axel Schimpf murmelte etwas von „emotionaler Anspannung“ nach dem Todesfall. Andere, die sich diskret bei Schimpf erkundigten, hatten damals schon den Eindruck, dass die Sache nicht ganz so harmlos und der Vizeadmiral vor allem darauf aus war, in Zeiten der Einspar-Not den Dreimaster „zu retten“. Das wäre dann gründlich schiefgegangen. Schiefgegangen wäre aber fast noch etwas anderes.

Vor einer Woche hat Guttenberg im Bundestag die Opposition gewohnt energisch davor gewarnt, nur aufgrund von Medienberichten jemanden vorzuverurteilen. Kurz darauf hat er den Kapitän Norbert Schatz seines Kommandos auf der „Gorch Fock“ enthoben. Und in der „Bild am Sonntag“ konnte man dann nachlesen, wie der Minister anscheinend mit dem Ausruf „Jetzt reicht’s!“ den Kapitän abkommandieren ließ, als er erfuhr, dass „Bild“ anderntags kompromittierende Bilder bringen würde.

Ein Minister, der hart durchgreift – den für sein Bild beim Volk so schmeichelhaften Eindruck hat Guttenberg zwei Tage lang stehen lassen; erst dann hat er öffentlich von Fürsorge für den Kapitän geredet und alle per Presseerklärung als Ahnungslose beschimpft, denen das nicht sofort klar gewesen sei. Die Opposition hält die zweite Version für nachgeschoben. Vier Mal, sagt SPD-Mann Arnold, hätten sie Guttenberg im Ausschuss gefragt, was denn außer den „Bild“-Bildern seinen Meinungsumschwung in Sachen des Kapitän Schatz bewirkt habe. Der Minister hat nur von „Berichten“ gesprochen. Auf diese Tour kriegen sie ihn nicht. Dafür schauen die Leute noch lange nicht genau genug hin.

Gefährlicher ist ein anderes Bild: Ein Minister, der sich von „Bild“ treiben lässt. Ein boulevardtauglicher Minister in strategischer Partnerschaft mit dem Boulevardblatt, wie sie sogar die „FAZ“ vermutet. Der KT, sagt ein Parteifreund, müsse da allmählich sehr aufpassen.

KT steht für „Karl-Theodor“, intern nennen ihn alle so, außer denen, die lieber gleich „unser Messias“ sagen. Darin steckt der erwähnte Neid, aber auch ein Stück bewundernder Resignation. Zur Erklärung des Phänomens Guttenberg gehört nämlich zwingend die Erkenntnis, dass alle ihn brauchen. Die Kanzlerin Angela Merkel braucht den Superstar in ihrem Kabinett. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel braucht den Hoffnungsträger dafür, dass Horst Seehofer nicht mehr muckt, und außerdem als Zugpferd für kommende Wahlkämpfe. Sogar der CSU-Vorsitzende Seehofer braucht auf eine verquere Art den Mann, der ihn zwar dereinst ablösen wird, aber ihm bis dahin das Überleben garantiert. So lange die Umfragen der CSU wieder beruhigende 45, 46 Prozent bescheren, kann sie schließlich auf einen lästigen und unerfreulichen Putsch verzichten und Seehofer als statthalternden Chef weiterbeschäftigen.

Und so pflegen alle den Hoffnungsträger. Am Mittwochnachmittag sitzt Angela Merkel in der Regierungsbank. Die ist überhaupt gut gefüllt, auch wenn die meisten Häuser nur von Staatssekretären vertreten werden. Für eine Aktuelle Stunde auf Antrag der Grünen ist das ein ungewöhnlicher Auflauf. Aber gleich wird Guttenberg reden und im Bundestag noch einmal sagen, was er vorher im Ausschuss gesagt hat. Merkel hat ihn vom ersten Tag an demonstrativ unterstützt, Seehofer auch, die Fraktionsspitzen ebenso. Jetzt hört die Kanzlerin aufmerksam zu bei Guttenbergs Rede, in der sich die Opposition zu ihrem sichtlichen Ingrimm tadeln lassen muss, dass die „Aufgeregtheiten“ der letzten Tage aber gar nicht gut für die Soldaten der Bundeswehr seien. Guttenberg ist kühl. Seine Gegner sind es nicht. Immer wieder rennen sie in das rote Tuch, das er ihnen hinhält. Hinterher plaudert die Kanzlerin kurz mit dem Minister, bis alle Kameraleute das Bild formatfüllend im Kasten haben.

Dass die allgemeine Unterstützung für den Superstar auch eine Kehrseite hat, wird in diesen Momenten naturgemäß nicht deutlich. Es gibt sie aber. Dass Guttenberg sich offensichtlich straflos Dinge herausnimmt, die andere sich nicht leisten können, macht ihm keine Freunde. Und es könnten, apropos leisten, demnächst noch viel weniger werden. Der Verteidigungsminister braucht Geld, Milliarden Euro. Dabei soll er sparen, 8,4 Milliarden. Wie sich der Widerspruch auflösen lässt, weiß noch keiner.

Guttenberg hat es auch hier wieder mit dem bewährten Prinzip „Frechheit siegt“ versucht. Aber Merkel hat ihn höchstpersönlich gebremst. Der Minister hat in der Sparklausur des Kabinetts verlangt, die Wehrpflicht abzuschaffen, damit er sparen kann. Jetzt verlangt er mehr Geld, damit er die Wehrpflicht abschaffen kann. Wenn sie ihm das durchgehen lassen, machen sie sich selbst zu Narren. „Das Problem heißt Schäuble“, sagt einer aus der Unionsführung, was insofern stimmt, als einem Finanzminister, der sein Sparziel nicht durchsetzen kann, nur der Rücktritt bliebe. Aber Wolfgang Schäuble steht nur stellvertretend für die Glaubwürdigkeit der ganzen Regierung.

Also suchen alle nach Wegen aus dem Dilemma. Merkel hat schon mal an ihren Spruch erinnern lassen, dass an ein, zwei Milliarden die Sicherheit der Republik nicht scheitern dürfe. Aber auch die müsste erst mal jemand anderes aufbringen. „Am Ende“, spottet einer, „haben wir dann eine Meuterei im Kabinett.“ Außerdem, ein, zwei Milliarden reichen bei Weitem nicht. Schon hat Seehofer den Kollegen daran erinnert, dass er doch als guter Bayer gewiss nicht wolle, dass die Bundeswehrreform sein schönes Heimatland lauter schöne Standorte koste.

Die Lösung also ist noch nicht in Sicht, nur Ansätze dazu: „Das Sparziel strecken“ heißt die jüngste Parole. Trotzdem wird es eine Lösung geben. Guttenberg wird nicht am Geld scheitern, weil selbst Angela Merkel ihn daran nicht scheitern lassen kann. So wenig wie er an diesen Affären gescheitert ist. Es wird nur schwerer. Eigentlich braucht ein Minister, der die Armee grundlegend reformieren will, die Unterstützung jedes einzelnen Soldaten. Aber im Offizierscorps fragen sich etliche, wie es umgekehrt um die Unterstützung des Ministers bestellt ist. Die Sorte Schutz, die der Kapitän Schatz erfahren hat, wünscht sich nicht jeder. Auch darin, dass die ganze Bundeswehr jetzt auf finstere Rituale hin durchforstet werden soll, bloß weil vielleicht der Tote in Afghanistan ein Opfer von Waffenspielereien wurde, sieht mancher mehr Hascherei als Effekt.

Vielleicht ist es sogar ganz gut, wenn es schwerer wird. Bisher hat er es leicht gehabt. Nichts trägt sich so leicht wie Hoffnung. Aber die Gefahr ist erkennbar, dass er sich demnächst wirklich für so eine Art Siegfried hält, der in Drachenblut gebadet hat, obwohl er gar keine Drachen erlegt hat, sondern nur die kleinen Feuerspeier von der Opposition. Zumal das Ungeheuer, das er wird besiegen müssen, ganz woanders lauert. Eitelkeit, sagt einer von den Erfahrenen in der Union, Eitelkeit sei gefährlich. An Westerwelle könne man das sehen, an Seehofer auch. Angela Merkel habe das begriffen und ihre Eitelkeit im Zaum. Wenn Guttenberg ihn also fragen würde – „etwas mehr Merkel, etwas weniger Seehofer“. Der Drache nämlich, den Karl-Theodor zu Guttenberg besiegen muss, schaut ihm aus jeder Kameralinse entgegen. Er trägt flotte Brille, breites Lachen und stramm zurückgegeltes Haar.

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