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Der Krieg ist schon da.

© dpa

Appell in der Ukraine-Krise: Deutsche warnen vor Krieg, Polen warnen vor Wladimir Putin

Die Unterzeichner des Aufrufs "Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!" ignorieren, dass der Krieg in der Ukraine schon längst tobt - und Russlands Nachbarn Angst macht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Juliane Schäuble

Briefe schreiben kommt aus der Mode, hieß es doch immer in letzter Zeit. In der Politik ist das offenbar nicht der Fall. Der Appell unter der Überschrift „Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!“ von einst wichtigen Politikern und Promis aus Wirtschaft und Kultur, die vor einer Verschärfung der Sanktionen gegen Russland warnen, ist vielleicht das prominenteste und am heißesten diskutierte Beispiel dieser Tage. Er lehnt sich an die amerikanische Bewegung an, die die US-Politik nach 9/11 ablehnte und das öffentlich bezeugte.

Initiiert haben den Ende der vergangenen Woche veröffentlichten Brief Horst Teltschik, einst außenpolitischer Berater von Helmut Kohl, der ehemalige Staatssekretär im Verteidigungsministerium Walther Stützle sowie die frühere Grünen-Politikerin Antje Vollmer. Unterzeichnet haben den Appell unter anderem Altbundespräsident Roman Herzog, Altkanzler Gerhard Schröder, Ex-Innenminister Otto Schily, der frühere SPD- Chef Hans-Jochen Vogel, Berlins ehemaliger Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen sowie Wirtschaftsvertreter wie der einstige Metro-Chef Eckhard Cordes und der ehemalige Daimler-Vorstand Klaus Mangold. Alt-, Ex-, ehemalig – und damit irrelevant?

Mitnichten. Die Unterzeichner sind der Ansicht, dass der Westen durch sein Verhalten gemeinsam mit Russland auf einen Krieg zusteuert, dass die falsche Politik von USA und EU, die „Ausdehnung des Westens nach Osten ohne gleichzeitige Vertiefung der Zusammenarbeit mit Moskau“, eine Bedrohung Russlands darstelle. Sie stellen fest, dass bei Amerikanern, Europäern und Russen „der Leitgedanke, Krieg aus ihrem Verhältnis dauerhaft zu verbannen, verloren gegangen“ sei, und sie warnen vor Krieg.

Fast täglich sterben Menschen - ist das kein Krieg?

Doch dass der Krieg in der Ukraine schon längst tobt, dass fast täglich Menschen sterben, Häuser zerstört und ganze Landesteile unregierbar gemacht werden, scheint bei ihnen noch nicht angekommen zu sein. Auch die Medien in Deutschland kriegen ihr Fett ab: „Leitartikler und Kommentatoren dämonisieren ganze Völker, ohne deren Geschichte ausreichend zu würdigen.“

„Ohne die Geschichte ausreichend zu würdigen“ – angesichts ihrer offensichtlichen Weigerung, die historisch bedingten Ängste und das Schutzbedürfnis vieler Nachbarn Russlands anzuerkennen, wirken gerade diese Worte schräg. Vor allem, da ein anderer Brief, geschrieben von polnischen Intellektuellen vor wenigen Wochen, längst nicht dieselbe Aufmerksamkeit erregt hat.

Dabei haben die Unterzeichner des Briefes „Danzig 1939 – Donezk 2014“ drastische Worte gewählt. Sie vergleichen Putin mit Hitler – und sprechen damit die Deutschen direkt an. „Die Deutschen fallen dem russischen Bären um den Hals“, lautet der Vorwurf, den eine Unterzeichnerin, die Autorin Olga Tokarczuk, auf „Spiegel Online“ jetzt noch einmal wiederholt hat. Dahinter steckt die traumatische Erinnerung der Polen, allein gelassen zu werden, als damals über ihre Köpfe hinweg entschieden wurde und die zugesagte Hilfe der Verbündeten ausblieb.

Die Polen fürchten, dass auch dieses Mal zu spät erkannt wird, welche Katastrophe da droht, dass auch dieses Mal die Interessen Russlands wichtiger als ihre eigenen sind – obwohl, wie sie betonen, Polen in der Mitte Europas liegt. Dass Putin austestet, wie weit er gehen kann, und am Ende nur Chaos schaffen will. Weil ihm das Chaos nutzt. Dass er geradezu ermutigt wird, weiter zu zündeln, da ihm niemand Einhalt gebietet.

Gerade die Deutschen sollten die Ängste ihrer polnischen Nachbarn ernst nehmen. Der Aufruf „Nicht in unserem Namen“ tut leider das Gegenteil. Er verdreht Ursache und Wirkung, er macht den Westen mitverantwortlich für das Treiben Putins und unterstellt ihm territoriale Expansionsbestrebungen, die er mit denen des Kremlchefs auf eine Stufe stellt.

Das ist grottenfalsch. Und es ist gefährlich, weil dadurch Putins Vorgehen verharmlost wird – auf der Krim, im Osten der Ukraine und auch in anderen Ländern, die Russland zu seinem legitimen Einflussbereich zählt, wie Moldau und Georgien. Außerdem verstört dieser Aufruf unsere Nachbarn.

Die Angst der Briefeschreiber vor Krieg ist legitim. Sie wird von vielen geteilt. Doch vor lauter Angst sollte man nicht die Augen davor verschließen, wer der Auslöser dieses unheimlichen Gefühls ist. Der Druck auf Putin muss aufrechterhalten werden. Er muss spüren, dass sein Zündeln nicht folgenlos bleibt. Nur dann besteht die Hoffnung, dass auch die Kriegszustände in Europa wirklich aus der Mode kommen.

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