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Arm und Reich in Deutschland: Wenn das Stück vom Kuchen immer größer wird

Der Sozialstaat vermag keinen Ausgleich zu schaffen: Der Unterschied zwischen Arm und Reich wird in Deutschland immer größer. Wie ist der Wohlstand in der Bundesrepublik verteilt?

Von Antje Sirleschtov

Zum vierten Mal seit dem Jahr 2000 geht die Bundesregierung den Fragen nach, wer reich und wer arm ist in Deutschland und wie sich die Verteilung des Vermögens entwickelt. Der sogenannte Reichtums- und Armutsbericht, den das Bundesarbeitsministerium alle vier Jahre erstellt, soll Mitte November im Kabinett verabschiedet werden.

Wie entwickelt sich Armut in Deutschland?

Armut ist immer ein relativer Begriff. Wer lange ohne Arbeit ist, wer (aus welchen Gründen auch immer) nur wenig arbeiten kann, nur wenig Einkommen hat, gilt in Deutschland als arm. Das Risiko für Armut ist besonders dort hoch, wo Alleinerziehende Kinder zu versorgen haben und/oder das Bildungsniveau gering ist. In Deutschland ist die Zahl der Langzeitarbeitslosen nach dem Armuts- und Reichtumsbericht seit 2007 um rund 40 Prozent auf im Jahresdurchschnitt 1,06 Millionen Personen (2011) gesunken. Gleichzeitig ist die Zahl der sozialversicherten Beschäftigten angestiegen – aber auch die Zahl der Menschen, die zu geringen Löhnen arbeiten müssen. Rund 23 Prozent der deutschen Arbeitnehmer erhalten im Schnitt Niedriglöhne.

Video: Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer

2010 waren es 7,9 Millionen, die für weniger als 9,15 Euro in der Stunde gearbeitet haben. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) legt in ihrem Bericht nahe, dass Mindestlöhne das Armutsrisiko verringern können. Beim Koalitionspartner FDP wird das jedoch anders gesehen. Von 1998 bis 2005 ist die Zahl der sogenannten Einkommensarmen von 10 auf 15 Prozent der deutschen Bevölkerung angestiegen. Seither bleibt diese Zahl beinahe konstant.

Bildergalerie: Die reichsten Deutschen

Wie verteilen sich Einkommen und Vermögen in Deutschland?

Der private Reichtum in Deutschland wird immer größer, die Reichsten werden immer reicher. Nach den Angaben im Regierungsbericht hat sich das Nettovermögen der privaten Haushalte in den vergangenen zwei Jahrzehnten mehr als verdoppelt – auf zehn Billionen Euro. Wobei die reichsten zehn Prozent der Deutschen über mehr als die Hälfte des Gesamtvermögens verfügen, der unteren Hälfte der Haushalte bleibt gerade mal ein Prozent.

Das private Nettovermögen hat sich nach den Regierungsangaben allein zwischen 2007 und 2012 um 1,4 Billionen Euro erhöht – und das trotz der seit 2008 bestehenden Finanzkrise. Der Anteil des obersten Zehntels, so der Bericht, sei dabei „im Zeitverlauf immer weiter gestiegen“. 1998 belief er sich laut den amtlichen Zahlen auf 45 Prozent. 2008 war in den Händen dieser Gruppe der reichsten Haushalte bereits mehr als 53 Prozent des Nettogesamtvermögens.

Das durchschnittliche Vermögen eines Haushaltes beläuft sich in Deutschland auf 118 000 Euro, wobei es hier starke Unterschiede zwischen West und Ost gibt: Die Haushalte in den alten Ländern verfügen demnach über durchschnittlich 132 000 Euro, die in den neuen Ländern hingegen nur über 55 000 Euro.

Die Bankenkrise hatte kaum Auswirkungen auf die Einkommen aus Unternehmertum.

Auch bei der Entwicklung der Einkommen öffnet sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter. Während das untere Zehntel der Einkommensbezieher in den vergangenen zehn Jahren rund neun Prozent seines Brutteinkommens verloren hat, stieg das Einkommen der Besserverdienenden zwischen drei und fünf Prozent an. Betrachtet man die Entwicklung bei den verschiedenen Formen von Einkommen, so fällt auf, dass Einkommen aus Unternehmergewinnen in den zurückliegenden zehn Jahren besonders stark angewachsen sind. Lediglich 2008 und 2009 hat es hier wegen der Bankenkrise einen Einbruch gegeben. Das Einkommen aus Erwerbsarbeit ist demgegenüber nur gering angestiegen. Der Abstand zwischen West- und Ostdeutschland hat sich dabei verringert.

Video: Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer

Welche Rolle spielt der Sozialstaat?

Der Staat greift auf zweierlei Arten in den Einkommensbereich der Privathaushalte ein: Zum einen sind das die Sozialleistungen, die im Schnitt der letzten Jahre bei rund 28 Prozent des BIP lagen. Zum anderen betrifft das die Ausgaben etwa für Bildung und Kinderbetreuung. Hier liegt Deutschland noch immer im unteren Mittelfeld. Auch die Verteilung der staatlichen Mittel folgt nicht durchgängig dem Prinzip, dass das Steuergeld vor allem zum Ausgleich von Arm und Reich eingesetzt wird.

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Ein Beispiel dafür ist die Inanspruchnahme von Betreuungsmöglichkeiten für Kinder. Der Aufenthalt in Kitas und bei Tagesmüttern erhöht nicht nur die Möglichkeit der Eltern zur Arbeitsaufnahme und senkt das Armutsrisiko der Familie. Auch bei den Kindern sinkt so die Gefahr, später selbst in Armut zu fallen. Man sollte also erwarten, dass gerade Kinder von Eltern mit geringem Einkommen oder Migrationshintergrund in besonderem Maße die staatlichen Betreuungsleistungen in Anspruch nehmen können. Das ist aber nicht so. Der Bericht der Bundesregierung stellt heraus, dass Kinder von Akademikereltern weit häufiger Kitas besuchen als Kinder aus Elternhäusern mit niedrigeren Schulabschlüssen. Auch Kinder aus Migrationsfamilien sind unterrepräsentiert beim Kitabesuch. Das heißt aber, dass die Sozialleistungen des Staates gesamtgesellschaftlich an der falschen Stelle – nämlich vorrangig in den oberen und mittleren Einkommensbereichen – wirken und ihr Einfluss auf die Verringerung der sozialen Spaltung in Arm und Reich begrenzt ist.

Wie verteilt sich der Wohlstand im Alter?

Derzeit ist Altersarmut offenbar kein verbreitetes Thema. Der Bericht der Bundesregierung weist aus, dass im europäischen Vergleich das Armutsrisiko in Deutschland im Alter weit unterdurchschnittlich ist. Hinzu kommt, dass im Verhältnis aller Altersgruppen die Alten in der Gruppe der oberen zehn Prozent der Einkommensbezieher und Vermögensbesitzer überdurchschnittlich häufig anzutreffen sind, während sie in der unteren Hälfte kaum vorkommen.

In den kommenden Jahrzehnten könnte sich dieses Bild jedoch deutlich wandeln. Allein die Versicherungsquote der Selbstständigen deutet darauf hin. Von den rund vier Millionen Selbstständigen in Deutschland sind rund drei Millionen bislang nicht obligatorisch versichert.

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