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Aserbaidschan vor dem ESC: Kein bisschen Freiheit

Die Journalistin Khadija Ismayilova hat getan, was kaum ein anderer mehr wagt in Aserbaidschan: Sie enthüllte dubiose Geschäfte der Familie des autoritären Präsidenten – und wurde erpresst. Doch einschüchtern lässt sie sich nicht. Sie recherchiert weiter.

Sie hat gegen die Angst gekämpft und gewonnen. Zumindest dieses Mal. Khadija Ismayilova versucht weiterzuleben, als sei nichts passiert, als habe nicht gerade ein Brief ihr Leben verändert.

Die aserbaidschanische Journalistin öffnet die Wohnungstür nicht mehr selbst. Ein durchtrainierter Mann mit kurzen grauen Haaren schließt die Tür auf und mustert jeden Besucher eindringlich. Ein Bekannter „mit militärischem Hintergrund“ sei das, sagt sie. Das Haus verlässt sie nur, wenn es sein muss. Sie ist nie mehr allein, Tag und Nacht ist jemand bei ihr. Denn ihre Freunde glauben, dass ihr Leben in Gefahr sei – weil sie über Dinge geschrieben hat, über die man in Aserbaidschan besser nicht spricht.

So ist der Esstisch der kleinen Wohnung am Narimanow-Platz in Baku für die 36-Jährige zum Lebensmittelpunkt geworden. Neben ihrem Laptop stapeln sich auf der geblümten Decke Papiere, ein Notizblock und die Visitenkarten von Menschen, die aus der ganzen Welt kommen, um bei schwarzem Tee mit Honig ihre Geschichte zu hören. Denn wer in diesen Tagen wissen will, wie es in Aserbaidschan um die Freiheit steht, der ist bei der bekanntesten investigativen Journalistin des Landes genau richtig.

Der Brief kam vor zwei Monaten. Abgestempelt war er in Moskau. Er enthielt sechs Fotos und einen Zettel mit den Worten: „Hure, benimm dich, oder du wirst verleumdet.“ In dieser Zeit arbeitete sie wieder einmal an einer Geschichte über die undurchsichtigen Geschäfte der Präsidentenfamilie. Sie ist derzeit vielleicht die Einzige in ihrem Land, die sich an dieses Thema überhaupt noch heranwagt. Präsident Ilham Aliyev regiert das Land seit 2003 autoritär, zuvor war bereits sein Vater Präsident. Im Parlament gibt es keine echte Opposition mehr, Regierungsgegner sitzen im Gefängnis, Sicherheitskräfte prügeln auf Demonstranten ein.

Lange, bevor sie den Umschlag in der Hand hielt, hatte sie darüber nachgedacht, was sie in so einem Fall tun würde. Damals hatte sie entschieden, auf keinen Fall klein beizugeben: „Ich war bereit, dagegen anzukämpfen“, sagt sie. Doch leicht wurde es nicht. Die Fotos zeigten sie beim Sex, aufgenommen wurden sie im vergangenen Sommer in ihrem Schlafzimmer. „Meine Wut war größer als meine Angst.“ Die Journalistin ging zur Arbeit und machte ihre Sendung bei Radio Liberty, als sei nichts geschehen. Am Abend schaltete sie ihren Laptop ein, ging auf ihre Facebook-Seite und berichtete von der Erpressung. „Ich werde meine berufliche Tätigkeit und meine Arbeit fortsetzen“, schrieb sie. Denn wer den Journalistenberuf ernst nehme, könne nicht anders handeln.

Wenig später machten die Erpresser ihre Drohung wahr. Im Internet tauchte ein Sexvideo auf. Regierungstreue Zeitungen, darunter das Blatt der Präsidentenpartei, griffen die unverheiratete Frau persönlich an, warfen ihr einen unmoralischen Lebenswandel vor. In ihrem Land gebe es immer noch Ehrenmorde, sagt die Journalistin. Über die Probleme, die all das in ihrer Familie verursachte, will sie nicht reden. An die Öffentlichkeit zu gehen, sei für eine Frau in einem so konservativen Land wie Aserbaidschan sehr mutig gewesen, sagt der Blogger Emin Milli. Das hätten andere in einer ähnlichen Situation nicht getan. Aus seiner Sicht ging es nicht nur um Erpressung: „Das war eine Anstiftung zum Mord.“

Wie sich herausstellte, war die Wohnung der Journalistin verwanzt.

Zusammen mit Kollegen begann Khadija Ismayilova zu recherchieren, seit wann und von wem sie überwacht wurde. Sie fanden mehrere Kabel, schwarze, graue, durchsichtige. Ein Mitarbeiter der Telefongesellschaft berichtete, er sei von seinem Arbeitgeber beauftragt worden, ein Telefonkabel zu installieren und bis an die Wohnungstür zu verlegen. In die Wohnung selbst durfte er nicht hinein, er hörte nur, wie drinnen gearbeitet wurde.

Einer von denen, die herausfinden wollten, wer Khadija Ismayilova überwachte, ist Emin Huseynov, Direktor des Instituts für die Freiheit und Sicherheit von Reportern (IFRS). „Wir glauben, dass die Regierung beteiligt ist“, sagt der junge Mann, der aussieht, als habe er seit Tagen kaum geschlafen. „Khadija wurde erpresst, weil sie Korruption in der Präsidentenfamilie untersuchte.“ Fast täglich berichtet Huseynovs Institut von Übergriffen gegen kritische Journalisten. Einen Kollegen hat er vor kurzem im Krankenhaus besucht. Der Reporter wurde von Sicherheitsleuten der staatlichen Ölgesellschaft zusammengeschlagen, als er über die Zwangsräumung von Häusern berichten wollte. „Dieses Vorgehen zeigt die Haltung der Machthaber gegen Journalisten“, sagt Huseynov. Sieben Journalisten sitzen derzeit im Gefängnis, bei den Medien im Land herrsche eine „Kultur der Selbstzensur“.

Was das bedeutet, weiß Rauf Arifoglu, Chefredakteur der oppositionellen Zeitung „Yeni Müsavat“. „Wer die Regierung kritisiert, kann leicht im Gefängnis landen“, sagt der bärtige Mann. „Wir arbeiten unter extremen Bedingungen.“ Er selbst saß schon im Gefängnis für das, was er geschrieben hat. Noch während er in Haft war, im Jahr 2005, wurde ein regierungskritischer Journalist in Baku erschossen. Bei vielen Kollegen sitzt der Schock noch heute tief. Er hatte über das Vermögen der Präsidentenfamilie recherchiert. Seine Mörder wurden nie gefunden.

Der Chefredakteur bittet nun seine jungen Mitarbeiter, nicht zu kritisch gegenüber „bestimmten Figuren“ zu sein. Er hat Angst um ihre Gesundheit, ihr Leben: „Ich kann sie nicht schützen.“ Über den Präsidenten, dessen Familie und einige Minister, die die Zeitung leicht verklagen könnten, schreiben sie im Zweifel lieber nicht.

„Es gibt einen Krieg gegen uns“, sagt auch Rahim Hajiyev, der geschäftsführende Chefredakteur von „Azadliq“, einer anderen Oppositionszeitung. Einer seiner Journalisten wurde entführt, geschlagen und mitten in der Nacht aus dem Auto geworfen. „Sie sagten ihm: ‚Wenn du Verstand hast, schreibst du nichts gegen den Präsidenten’“, berichtet Hajiyev. „Aber er macht weiter. Für mich ist er ein Held.“

Von Seiten der Verwaltung ist die Rede von "Einzelfällen".

In der Präsidialadministration, einem wuchtigen Bauwerk aus Sowjetzeiten, kennt man diese Geschichten. Doch die Presse in Aserbaidschan sei frei, betont der Präsidentenberater Ali Hasanov. „Niemand blockiert den Zugang, die Verarbeitung und die Verbreitung von Informationen“, sagt er. In den Medien würden Regierungsbeamte gelobt und kritisiert. Ja, es gebe Journalisten, die getötet würden in Aserbaidschan, die geschlagen oder verhaftet würden. „Aber das ist keine massive Tendenz, sondern es sind Einzelfälle. Gibt es Länder, in denen das nicht passiert?“

Aber der Staat will auch etwas tun für die Journalisten: Nicht weit vom Präsidentenpalast wird ein Haus gebaut, dessen Bewohner einmal einen unverbauten Blick aufs Kaspische Meer haben werden. Hier entsteht auf Initiative des Präsidenten ein Haus für Journalisten. In den 146 Wohnungen auf 16 Stockwerken sollen die Auserwählten kostenlos wohnen dürfen. Dass der Staat Journalisten mit kostenlosen Wohnungen versorgt und außerdem Zeitungen finanziell unterstützt, sei „nichts anderes als Bestechung“, sagt Ismayilova.

Das Haus für Journalisten passt gut zu dem paternalistischen Staatsverständnis in Aserbaidschan: Der Präsident gibt sich als Vater, der für die Landeskinder sorgt. Aber das gilt wohl nur, solange sie sich an seine Regeln halten. Und wenn sie es nicht tun?

Aliyev selbst beschwerte sich im Gespräch mit US-Diplomaten über Ismayilovas Arbeit bei Radio Liberty und sagte, sie sehe sich als „Feindin der Regierung“. Die Journalistin muss nun mit dem Gefühl leben, dass sie monatelang gefilmt wurde – und wohl weiter unter Beobachtung steht. Ihre Freunde fürchten, jemand könnte ihr etwas antun und dann die Tat als Selbstmord darstellen, „wegen der Schande“. Doch sie selbst betont: „Ich schäme mich nicht.“ Die Journalistin, die in der kommenden Woche mit dem Gerd-Bucerius- Förderpreis geehrt wird, hat gerade eine neue investigative Geschichte veröffentlicht, wieder geht es um den Präsidenten und seine Familie. „Welche Firma ich mir auch ansehe, sie tauchen jedes Mal auf“, sagt Ismayilova. Sie konnte nachweisen, dass die Familie des Staatschefs vom Bau der ESC-Halle profitiert.

Zum Abschied wünsche ich Khadija Ismayilova alles Gute. „Das“, sagt sie mit einem traurigen Lächeln, „ist in meinem Land ein sehr unrealistischer Wunsch.“ Dann schließt ihr Bekannter die Tür ab. Zur Sicherheit.

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