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Solidarität. Weltweit demonstrieren Menschen (hier in Doha) gegen die Angriffe der Armee auf die syrische Stadt Homs und beten für die Opfer.

© REUTERS

Aufstand in Syrien: Türkei warnt Assad

Neue Initiativen nach dem Veto Russlands und Chinas im UN-Sicherheitsrat: Die Türkei organisiert ein internationales Treffen – und schließt auch eine Militärintervention nicht mehr explizit aus.

Die türkische Regierung hat ihre angekündigte internationale Syrien-Initiative gestartet. Außenminister Ahmet Davutoglu warb für eine Syrien-Konferenz, die in der Türkei oder sonst wo in der Region stattfinden könne. Ministerpräsident Recep Erdogan seinerseits rief den russischen Präsidenten Dmitri Medwedew an. Ziel ist es, den Druck auf das Regime des syrischen Präsidenten Baschar al Assad weiter zu erhöhen. An die Adresse Assads, der derzeit die Stadt Homs mit Artillerie beschießen lässt, gerichtet, warnte Erdogan: „Früher oder später musst du für Homs die Rechnung bezahlen.“ Bei der Bombardierung von Homs wurden am Donnerstag laut Menschenrechtgruppen erneut dutzende Menschen getötet. Einige Beobachter halten als letztes Mittel das Eingreifen einer türkisch-arabischen Friedenstruppe für denkbar.

Vor einem Besuch in Washington, bei dem er unter anderem mit US-Außenministerin Hillary Clinton über die Lage in Syrien reden will, sagte Davutoglu, auch nach dem jüngsten Scheitern der Bemühungen um eine gemeinsame Haltung der Vereinten Nationen werde die Türkei das syrische Volk nicht seinem Schicksal überlassen. Ankara wolle eine internationale Syrien-Konferenz organisieren und halte eine Einladung in die Türkei ebenso für möglich wie ein Treffen in einem anderen Land der Region. Die Türkei bemüht sich seit Wochen um einen engen Schulterschluss mit der Arabischen Liga in der Syrien-Krise.

Erdogan hatte am Dienstag den Start einer neuen Initiative seiner Regierung angekündigt. In seinem Telefonat mit Medwedew zeigte sich der türkische Ministerpräsident nach Angaben seines Büros enttäuscht über das jüngste Moskauer Veto im UN-Sicherheitsrat. Die Außenminister beider Länder sollten sich künftig eng miteinander absprechen.

Dabei wird Davutoglu seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow, der vor wenigen Tagen von Reformzusagen Assads sprach, möglicherweise von seinen eigenen Erlebnissen in Damaskus berichten. Auch ihm gegenüber habe Assad demokratische Veränderungen versprochen, sagte Davutoglu dem türkischen Nachrichtensender NTV: Im vergangenen August habe Assad ein Referendum bis Ende September und Wahlen bis zum vergangenen Dezember angekündigt – geschehen sei aber nichts. Das Ende der jahrelangen Freundschaft zwischen der Erdogan-Regierung und dem Assad-Regime lässt sich ziemlich genau auf jenen Davutoglu-Besuch in Damaskus im August datieren. Seitdem wendet sich Ankara immer mehr von seinem südlichen Nachbarn ab. Inzwischen unterstützt die Erdogan-Regierung offen die syrische Exil-Opposition und lässt auch die Anführer der gegen Assads Truppen kämpfenden „Freien Syrischen Armee“ in der Türkei gewähren.

Wie weit diese Unterstützung noch gehen wird, ist unklar. „Wir möchten nicht über das Thema einer Militärintervention sprechen“, sagte Davutoglu. Ein klares Dementi war das nicht.

Veysel Ayhan, Syrien-Experte bei der Ankaraner Denkfabrik Orsam, glaubt Hinweise darauf zu erkennen, dass die türkische Regierung sich mehr und mehr mit dem Gedanken an eine militärische Intervention anfreundet. „Davutoglu sagt nicht Nein“, merkte Ayhan im Gespräch mit dem Tagesspiegel an. „Das ist eine klare Botschaft an das Regime in Syrien.“

Zunächst werde Ankara versuchen, durch eine verstärkte Unterstützung der Opposition das Ziel zu erreichen, Assad zum Einlenken oder zum Machtverzicht zu bewegen, sagte Ayhan. Schon jetzt liegen Berichte darüber vor, dass in Syrien auffällig viele Waffen türkischer Herkunft auftauchen. Letzten Endes sei auch „eine gemeinsame Militäraktion der Türkei mit den Arabern“ möglich, sagte Ayhan. Eine solche Intervention würde nach seiner Ansicht die logistische Unterstützung durch die Nato beinhalten. Türken wie Arabern ist aber daran gelegen, jeden Eindruck eines neuen Kolonialismus zu vermeiden.

Bei der „Freien Syrischen Armee“ stoßen solche Gedankenspiele auf freudige Zustimmung. Offiziere der aus Deserteuren der regulären syrischen Truppen bestehenden Verbände fordern seit langem, die Türkei solle eingreifen. Vor allem die Einrichtung einer militärisch gesicherten Schutzzone auf syrischem Boden wird verlangt. Eine solche Zone würde den Zerfall des Regimes enorm beschleunigen, sagen die Assad-Gegner. Nach ihrer Einschätzung könnte das Regime in diesem Fall seine Sicherheitskräfte nicht mehr zusammenhalten.

Eine Intervention mit einem Sturz Assads ist freilich genau das, was Syriens Partner wie Russland und der Iran vermeiden wollen. Noch ist die türkische Regierung nicht so weit, trotz dieser Widerstände offen über einen Militäreinsatz zu sprechen. Nach Einschätzung des Orsam-Experten Ayhan könnte sich das aber ändern, wenn die Gewalt in Syrien anhält.

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