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Armut ja, aber nicht zu viel: Der Armutsbericht des Bundesarbeitsministeriums wurde von der Bundesregierung entschärft.

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Update

Aussagen zur Lohnentwicklung gestrichen: Bundesregierung weist Vorwürfe zum Armutsbericht zurück

Die Bundesregierung hat aus dem Entwurf ihres Armutsberichts kritische Passagen zum Auseinanderdriften der Einkommen gestrichen. Die Linkspartei wittert Missbrauch.

Von Matthias Meisner

Die Bundesregierung hat den Vorwurf der Fälschung des Armuts- und Reichtumsberichts zurückgewiesen. Regierungssprecher Steffen Seibert verwies am Mittwoch in Berlin auf einen „sehr normalen Vorgang“. In der Abstimmung zwischen mehreren Arbeitsebenen, Gutachtern und den Ressorts veränderten sich die Texte. Der Bericht sei im Übrigen „realistisch“ und „problembewusst“.

Auch eine Sprecherin des Sozialministeriums betonte, es gebe noch gar keine „finale Fassung“. Die Stellungnahmen der Verbände lägen noch nicht vor und müssten erst eingearbeitet werden. Es sei dann geplant, den Armuts- und Reichtumsbericht „Anfang nächsten Jahres“ in das Bundeskabinett zu bringen. Zuvor waren entscheidende Passagen des Entwurfs offenbar deutlich verändert worden.

"Es ist nicht das erste Mal, dass die Regierung ihre Berichtspflicht missbraucht. Da wird oft genug verfälscht und schön gerechnet", sagte die Linken-Vorsitzende Katja Kipping dem Tagesspiegel. Sie forderte eine Reform des Berichtswesens, bei der "wo immer möglich, das Parlament das Ruder in die Hand nimmt". Beim Armuts- und Reichtumsbericht solle ein Anfang gemacht werden. "Der Bundestag sollte selbst eine unabhängige Kommission mit anerkannten Autoritäten aus Wissenschaft, Sozialverbänden und Gewerkschaften einsetzen, die regelmäßig und transparent über Armut und Reichtum in der Bundesrepublik berichtet."

Mit ihrem ersten Entwurf für einen Armuts- und Reichtumsbericht hatte Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) im September selbst scharfe Kritiker der Regierung überrascht. „Brauchbar“ nannte die Linkspartei viele Passagen der Vorlage. Ulrich Schneider vom Paritätische Wohlfahrtsverband entdeckte eine „zum Teil schonungslose Analyse“. Der Satz „Die Privatvermögen in Deutschland sind sehr ungleich verteilt“ hätte sich sogar als regierungsamtliches Plädoyer für die Einführung einer Vermögenssteuer deuten lassen. Denn geprüft werden sollte ursprünglich, „welche Rolle das Vermögen finanzpolitisch für die Finanzierung der Staatsaufgaben spielen kann“. Jetzt aber fehlen in der neuen 492-seitigen Version des Berichts, die dem Tagesspiegel vorliegt, zentrale Passagen, mit denen die Beamten des Ministeriums von Ursula von der Leyen (CDU) einen durchaus kritischen Blick auf die Republik warfen.

Durchgesetzt wurde die Neufassung dem Vernehmen nach maßgeblich von der FDP und vom Kanzleramt. „Ein ganz normales Procedere“, heißt es beschwichtigend aus dem Leyen-Ministerium. An Dutzenden von Stellen wurde neu formuliert. Gestrichen ist nicht nur der Satz zu den Privatvermögen, auch die Überschrift „Reiche vermögen mehr“ ist weg. Stattdessen heißt es dort jetzt: "Freiwilliges Engagement Vermögender unterstützen".

Neu gefasst wurde die Analyse zur aktuellen Einkommensentwicklung. Dort hieß es zunächst, sie „verletzt das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung und kann den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden“. Nun aber „wird unterstrichen, dass der Niedriglohnsektor wesentlich zum Beschäftigungsaufbau der vergangenen Jahre beigetragen und vielen Geringqualifizierten eine Chance gegeben hat, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen“.

Von Zensur spricht Attac. „An Peinlichkeit kaum zu übertreffen“ sei es, wenn Armutslöhne jetzt sogar als politischer Erfolg gewertet werden, heißt es bei den Wohlfahrtsverbänden. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles wirft der Regierung „Vertuschung“ vor, Grünen-Chef Cem Özdemir „Bilanzfälschung“. Die Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Soziales im Bundestag, die Linken-Politikerin Sabine Zimmermann, sagte dem Tagesspiegel: "Es fügt sich ins Muster der vergangenen Jahre, dass die Bundesregierung versucht, verheerende soziale Entwicklungen schön zu reden und die Realität ignoriert. Anstatt sich für soziale Gerechtigkeit und gute Arbeit einzusetzen, verfolgt die Regierungskoalition weiterhin ihre Politik der sozialen Spaltung und des Lohndumpings. Die Ausweitung von Niedriglöhnen nun in der neuen Fassung als strukturelle Verbesserungen am Arbeitsmarkt zu feiern, ist ein Schlag ins Gesicht der vielen Menschen, die in Deutschland von ihrem Einkommen nicht mehr leben können." (mit dapd)

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