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Andrej Holm stand im Mittelpunkt einer Debatte um Stasi, Jugend und Verantwortung, die ihn gleich zwei Jobs kostete.

© dpa

Berliner Ex-Staatssekretär: Im Umgang mit Holm ging jedes Maß verloren

Enttarnt als Lügner, Betrüger, nun alle Jobs los - und auch noch selbst schuld, oder? Nein. Der Senat hätte Andrej Holm entweder nicht ernennen oder nicht entlassen sollen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Es hätte, schlimmstenfalls, interessant werden können mit Baustaatssekretär Andrej Holm, der ehedem einzigen schillernden Personalentscheidung im neuen Regierungsbündnis der Stadt. In seiner Funktion wäre er bedingungslos der Frau Senatorin untertan gewesen, die als erfahrene Sachwalterin überschießende Theorie-Tendenzen ihres Haussoziologen in den Griff bekommen hätte. Vielleicht wäre mal eine neue Idee dabei gewesen.

Stattdessen wurde etwas gezeigt, das einige Politik nennen mögen und das zur vollständigen beruflich-persönlichen Dekonstruktion des Kurzzeit-Beamten geführt hat. Der Hoffnungsvolle ist erledigt, ein Lügner, Betrüger, und danach auch aus seinem alten Uni-Job Rausgeworfener. Übler noch, ein Untäter: Die „FAZ“ hält fest, Holm sei sogar in derselben Stasi-„Spezialabteilung“ tätig gewesen, welche die „Kerzenkinder von der Gethsemanekirche“ zu ihren „Prügelopfern“ gemacht hätte.

Schuld ist natürlich: Holm. Weniger wegen seine Prügelopfer oder seiner Vergangenheit als Stasizögling. Sondern wegen seines Umgangs damit. Dass er nicht sagte, was war, sondern tarnte, trickste, täuschte. Zur Selbstprüfung und den dazugehörigen Rückschlüssen sei er nicht in der Lage, urteilte der Regierende Michael Müller. Ähnlich die Präsidentin der Humboldt-Universität Sabine Kunst, die Holms Kündigung damit begründete, er hätte sich von seinen Falschangaben aus der Frühzeit seiner Vita distanzieren müssen.

So klingt es, wenn ein Schuldiger gefunden werden muss, wo es keine Schuld gibt. Denn im Grunde wissen die Beteiligten, dass Holm nach bisherigem Stand kein Vorwurf zu machen ist. Soweit bekannt, hat er weder Kerzenkinder verprügelt noch Republikflüchtlinge verraten. Ein Stasi-Jüngling mit Stasi-Eltern, der für gutes Stasi-Ausbildungsgeld eine Stasi-Karriere anstrebte, ehe mit der Mauer sein mutmaßlich ungereiftes Weltbild zusammenbrach.

Äußerungen des Mannes lassen darauf schließen, dass er im Nachgang Selbstprüfungen absolvierte, die andere noch vor sich haben. Eine daraus gewonnene Erkenntnis könnte gewesen sein, das Feld für „hauptamtliche“ frühere MfS-Beschäftigungen im Personalbogen besser leer zu lassen. Denn erstens entsprach es im Gewicht nicht der eigenen Wahrnehmung seiner früheren Arbeit und zweitens musste er nach den Stasi-Aufräumaktionen der 90er Jahre im öffentlichen Dienst befürchten, dass sein Werdegang als Wissenschaftler am Ende ist, bevor er begonnen hat.

Dabei handelte es sich damals wie heute um dies: Eine Kleinigkeit, zu der die HU-Präsidentin treffend bemerkte, dass sie einer Einstellung nie im Weg gestanden hätte, selbst unmittelbar nach der Wende nicht. Holm wiederum erklärte sich öffentlich zu seiner Stasi-Zeit, als die Justiz den „Gentrifizierungskritiker“ zu Unrecht als Terroristen verfolgen ließ.

Als Müller Holm entließ, handelte er aus Schwäche

Braucht jemand noch mehr persönliche Wahrheit? Und wenn ja – warum und mit welchem Recht? Es musste deshalb noch einiges zusammenkommen, um die Affäre politisch Fahrt aufnehmen zu lassen. Holms Stasi-Personalakte zum Beispiel, die passend zu den ersten Sticheleien der Opposition wie auf Knopfdruck den Weg in die Redaktionen fand. Oder ihre Interpreten wie den Behördenleiter Roland Jahn, der es für seine amtliche Aufgabe hielt, Holm sodann die Eignung für den Posten abzusprechen. Und es brauchte einen überheblichen Michael Müller, der ausrichten ließ, er könne sich Holms Akte per Google suchen, wenn er wolle. Nicht zu vergessen der Wechsel in der Rhetorik. Wo Holm erst das falsche Zeichen war, wurde er ein Schlag ins Gesicht der Opfer.

War, was dann geschah, vorhersehbar? Wer statt nach Schuld nach Verantwortung fragt, wird jedenfalls bei Michael Müller fündig. Sein Senat hätte Holm entweder nicht ernennen oder ihn nicht entlassen dürfen. Dass er nun nicht aus Überlegung, sondern aus Schwäche heraus gehandelt hat, verstärkt den Eindruck vom Desasterstart seiner Koalition.

Mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall soll einer von 25 Senatorenvertretern wegen früher Ausbildungsmonate im falschen Dienst im falschen Staat in einer Stadt unerträglich sein, die weltweit für eine geglückte Vereinigung steht. Andrej Holm seine Arbeit machen zu lassen, zu sehen, ob er sie gut macht, hätte durchaus zum Symbol dafür getaugt, dass ein Gemeinwesen seine Stärke in der Integration erweist, nicht in der Spaltung. Auch noch Menschen seiner Generation wegen möglicher Minimalbelastungen aus Jugendzeiten abzulehnen, verliert das Maß.

Erst recht gilt dies für die Kündigung. War Holm der grandiose Uni-Mitarbeiter, als den ihn die Präsidentin beschreibt, ist das Argument vorgeschoben, ihm nicht vertrauen zu können. Einsicht, endlich Einsicht wünscht man sich von ihm, dann dürfe er wieder arbeiten. Doch was soll er einsehen? Dass er, wie damals von der Strafjustiz, jetzt wieder ungerecht behandelt wird? Einsicht fehlt eher hier: Dass eine demokratisch regierte Stadt und insbesondere ihre Universitäten Orte sind, an denen es viele Wahrheiten gibt und jeder seine haben darf. Zumal die über das eigene Leben.

Wer Opfer ist, bestimmen immer noch Genossen: Harald Martenstein vertritt den Standpunkt, dass die Linken die Debatte verdrehen.

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