zum Hauptinhalt
Botschaften aus Stahl. Ín den ersten Tagen bemalten die Demonstranten Panzer mit ihren Parolen. Die hat die Armee inzwischen übermalen lassen.

©  André Pain/dpa

Ägyptens Armee: Beschützer im Zwielicht

Die Demonstranten fragen sich, auf welcher Seite die Armee steht – traditionell profitiert sie vom Regime. Unter den Offizieren der mittleren Ränge gärt es allerdings seit langem.

„Das Militär und wir sind eins“, skandierten die Demonstranten. Viele von ihnen schlafen inzwischen jede Nacht vor den Panzern, damit die Kettenfahrzeuge nicht vom Tahrir-Platz abgezogen werden können. Seit die Armeeführung Anfang letzter Woche durch ihren Sprecher verkünden ließ, die Anliegen des „großen ägyptischen Volkes“ seien legitim und man werde nicht schießen, atmete die Menge auf dem „Platz der Befreiung“ erst einmal auf. Dennoch blieben Zweifel – an der Haltung der Armee, vor allem aber an der Haltung ihrer Generalität in diesem Ringen des Volkes mit dem Regime.

So ist inzwischen ein Video aufgetaucht, welches einen Soldaten zeigt, der nachts auf der Brücke des 6. Oktober mit einem grünen Laserstrahl auf Demonstranten zielt und sie unter Feuer nimmt. Am Ende sieht man Helfer geduckt und in Panik zwei leblose Körper aus dem Schussfeld schleifen. Auch ließen die Kommandeure letzten Mittwoch die archaischen Pro-Mubarak-Horden zu Pferd und zu Kamel einfach passieren, so dass sie das friedliche Lager der Regimegegner in ein blutiges Schlachtfeld verwandelten.

Seit dem Sturz der Monarchie 1952 ist Ägyptens Armee das Rückgrat der Macht. Alle Präsidenten kamen aus ihren Rängen. Auch wenn sich die Streitkräfte stets geheimnisvoll und verschwiegen geben, sie sind keineswegs ein monolithischer Block. Unter den Offizieren der mittleren Ränge gärt es seit langem. „Mubaraks Pudel“ nennen sie verächtlich Armeechef und Verteidigungsminister Mohammed Hussein Tantawi, wie ein geheimes Wikileaks-Protokoll aus dem Jahr 2008 berichtet.

Tantawi sei inkompetent, in der Truppe herrsche eine „Kultur des Kadavergehorsams“, lautete die Kritik. Befördert werde nicht nach Leistung, sondern allein nach Loyalität. In einem Briefing-Papier für den durchreisenden US-General David H. Petraeus hieß es sogar, unter der Führung von Feldmarschall Tantawi sei „die taktische und operationale Schlagkraft der Armee verrottet“. Trotzdem stehe der 75-jährige Armeechef weiterhin in der Gunst Mubaraks, fuhr der Text fort, und er werde sich wohl noch viele Jahre auf seinem Posten halten können. Ausgerechnet dieser Eiferer der alten Garde, der bis vor kurzem noch als eiskalter und kompromissloser Verfechter des Regimes fungierte, wird in den USA und Europa mittlerweile als wichtiger Garant für einen demokratischen Neuanfang hofiert. 486.000 Mann hören auf sein Kommando, was Ägyptens Armee zur größten Streitmacht auf dem afrikanischen Kontinent macht.

Weit über eine Milliarde Dollar an amerikanischer Waffenhilfe fließen Jahr für Jahr an den Nil. Zudem ist das Militär in fast allen Bereichen des Staates präsent, unterhält ein eigenes Wirtschaftsimperium, dessen Firmen meist von pensionierten Generälen geführt werden. Der Truppe gehören nicht nur Rüstungsbetriebe, sondern auch Konzerne der Lebensmittelindustrie. Selbst in der Tourismusbranche und beim Straßenbau mischt die Armee mit, vom Regime häufig mit lukrativen Monopolen ausgestattet. Abgesehen davon besitzt das Militär riesige Ländereien im Nildelta und an der Küste des Roten Meeres, sozusagen als Treueprämie für ihre Loyalität zu Mubarak, wie es in den Wikileaks-Dokumenten heißt. Verteidigungsminister Tantawi verfügt zudem über ein absolutes Vetorecht gegen jede Art von Wirtschaftsinvestition „aus Gründen der Sicherheit“. Im ägyptischen Korruptionskarussell beschert ihm das eine goldene Schlüsselposition.

Und so stehen Ägyptens Armee heikle Wochen bevor. Denn Tantawi könnte am Ende die Rolle zufallen, auf Druck des Volkes seinen langjährigen politischen Ziehvater vom Thron stoßen – für viele noch ein schwer vorstellbares Szenario. Umgekehrt zweifeln viele Generäle offenbar, ob sie sich bei einem harten Vorgehen gegen die Demonstranten noch auf die Loyalität der Wehrpflichtigen und mittleren Offiziere verlassen können. Viele von ihnen sympathisieren mit den Regimegegnern und ließen in den ersten Tagen ihre Panzer vollsprühen mit Anti-Mubarak-Graffiti. Auf Befehl von oben haben sie diese inzwischen alle übermalt – aber so, dass die meisten noch gut zu lesen sind.

Zur Startseite