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Sitzblockade vor einem Regierungsgebäude in Sarajevo.

© Reuters

Bosnien-Herzegowina: Ein Land im Kampf um die Verfassung

Die Proteste gegen Armut und politisches Versagen haben zu Rücktritten geführt. Die Frage ist nun, ob die Demonstrationen mehr sind als nur ein Unmutsventil.

Die Proteste in Bosnien-Herzegowina haben erste politische Konsequenzen. Drei führende Regionalpolitiker traten am Wochenende zurück – in Tuzla, Zenica und Sarajevo. In allen drei Städten war es am Freitag zu schweren Ausschreitungen gekommen. Gewalttätige Demonstranten zerstörten Gebäude der Regionalregierungen, die als Symbol eines aufgeblasenen Staates gelten. Tuzla und Zenica sind zudem die beiden Städte, die durch den Niedergang der Industrie am stärksten betroffen sind – sie waren in jugoslawischer Zeit die wichtigsten Produktionsstätten in Bosnien-Herzegowina. Heute sind sie von Arbeitslosigkeit, Armut und Perspektivlosigkeit geprägt. Auch in Mostar wurden Verwaltungsgebäude gestürmt, aber auch die Büros der größten Parteien der Kroaten und Bosniaken.

Historisches Archiv bedroht

In der Hauptstadt Sarajevo war man am Wochenende noch immer mit Aufräumen beschäftigt. Dort waren ein Gebäude der Stadtverwaltung und das Gebäude des Staatspräsidiums in Brand gesetzt worden. In diesem befindet sich ein Teil des bosnischen Archivs, in dem sich historische Bestände aus der habsburgischen Zeit befinden. Noch ist unklar, wie viele dieser Bestände durch den Brand und die Löscharbeiten vernichtet wurden.

Ein Staatsstreich?

Die Proteste richten sich gegen die hohe Arbeitslosigkeit, zugesperrte Betriebe, Armut, die Privilegien von Beamten und Politikern und die Ohnmacht der Bürger in dem komplizierten Staatsgebilde. Die Forderungen der Demonstranten wurden in den vergangenen Tagen immer klarer. In Tuzla, wo die Proteste am vergangenen Mittwoch begannen, geht es um die Schließung von fünf Betrieben, etwa der Waschmittelfabrik Dita. Die Demonstranten forderten, dass die Arbeiter weiterbeschäftigt und krankenversichert bleiben und die Verträge über die Privatisierungen für ungültig erklärt werden sollen.

Zudem wollen sie, dass Verantwortliche für Wirtschaftsverbrechen vor Gericht gestellt werden, die Gehälter der Beamten an jene im privaten Sektor angeglichen werden und zusätzliche Zahlungen an Regierungsvertreter oder hohe Beamte gestrichen werden sollen. Nun wird darüber spekuliert, wer für das Versagen der Polizei, die den Angriff auf die staatlichen Gebäude nicht verhinderte, verantwortlich ist und weshalb es überhaupt zu den Angriffen der Hooligans kam. Es gibt Spekulationen, dass der Sicherheitsminister und ehemalige Medientycoon Fahruhdin Radoncic, der die randalierenden Demonstranten verbal unterstützte, die Situation für politische Zwecke vor den Wahlen im Herbst nutzen will. Interessant ist die Aussage des Chefs der Kantonalregierung von Sarajevo, Suad Zeljkovic, der mittlerweile zurücktrat. Die Ereignisse im Lande hätten Elemente eines „Staatsstreichs“ gehabt, sagte Zeljkovic. „Es gibt Leute hier, die ihre kriminellen Verbindungen betreiben“, meinte er in Richtung von Sicherheitsminister Radoncic. Es habe sich um sehr gut organisierte Gruppen gehandelt, die bezahlt worden seien, um die Angriffe zu starten, und an die Molotowcocktails verteilt worden seien. Auch viele Demonstranten distanzierten sich von den gewalttätigen Hooligans. Zahlreiche Bürger sympathisieren aber mit den Anliegen der Bewegung „Bosnischer Frühling“.

Die Proteste sind von einem starken Misstrauen gegenüber der politischen Klasse und der Verwaltung gezeichnet. Die bosnische Staatsstruktur ist aufgrund des Vertrags von Dayton aus dem Jahr 1995 überaus vielschichtig und teuer. Das Land ist in zwei Entitäten geteilt, die Föderation und die Republika Srspka. Die bosniakisch-kroatische Föderation wiederum ist unterteilt in zehn Kantone, die über jeweils eigene Regierungen verfügen. Die Kantone haben auch Steuerhoheit und eine eigene Polizei.

Dogmen, die spalten

Es gibt auch einige Stimmen von außen, die wie viele Demonstranten eine Änderung der Verfassung fordern, etwa der ehemalige kroatische Präsident Stipe Mesic. Er nannte die Entitäten „unantastbare Dogmen“, die die Spaltung im Lande beförderten.

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