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Die Verhandlungen um den Ausstieg Großbritanniens aus der EU haben begonnen.

© AFP/John Thys

Brexit-Verhandlungen: Gut, dass es die Briten gibt

Europa kann von Großbritannien viel lernen. Der "harte Brexit" wird nicht stattfinden, er hat keine Mehrheit. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Harald Schumann

Gut, dass es die Briten gibt. Kein anderes Land bietet den Europäern so viel lehrreiche Einsicht in die Risiken und unbeabsichtigten Konsequenzen des neo-nationalen Populismus wie das Vereinigte Königreich.

Die Lektion begann mit dem Irrtum des David Cameron. Über Jahre hatte der konservative Premier gegen vermeintliche Übergriffe einer fiktiven Brüsseler Zentralmacht gegen den britischen Souverän polemisiert, um so wie einst Margaret Thatcher eine Extrawurst für die Briten auszuhandeln. Als er die Wähler dann zur Abstimmung rief, konnte er die weitere Mitgliedschaft in der Union aber gar nicht mehr glaubwürdig vertreten. Die Propagandisten des Brexits hatten ohne ernst zu nehmenden Gegner leichtes Spiel und Cameron verlor. Merke: Wer aus taktischen Gründen den Geist des Nationalismus freisetzt, kann schnell die Kontrolle an jene verlieren, die sich seiner noch skrupelloser bedienen.

Aber der Furor der Sieger war nicht minder tückisch und führte das Land in einen „spektakulären Schlamassel“, wie der Chefökonom der „Financial Times“ schrieb. Ihr populistisches Versprechen auf die nationale Freiheit zerschellte regelrecht an der harten Wirklichkeit der transnationalen Vernetzung von Wirtschaft und Politik im integrierten Europa.

Statt des versprochen Milliardensegens an eingesparten Beitragszahlungen steht die Begleichung der Rechnung für längst eingegangene Verpflichtungen an, welche die EU-Kommission auf 100 Milliarden Euro kalkuliert. Merke: Wenn die Bürger die Verträge nicht kennen, die sie kündigen sollen, kann es sie teuer zu stehen kommen.

Nicht minder illusorisch war die Verheißung, Britannien könnte sich der Gesetzgebung der EU entledigen, aber weiterhin die Vorteile des Binnenmarktes in Anspruch nehmen. Selbst wenn sie wollten, könnten die anderen EU-Staaten das nicht gewähren. Wer ohne Kontrollen Kapital, Waren und Dienstleistungen frei über alle Grenzen handelbar macht, muss zwangsläufig diese Geschäfte einer gemeinsamen Gesetzgebung unterwerfen. Ohne sie entstünde ein rechtsfreier Raum, der Unternehmen und Verbraucher schutzlos Betrügern und unsicheren Produkten ausliefern würde.

Folgerichtig propagiert Camerons Nachfolgerin Theresa May den vollständigen Ausstieg aus dem EU-Binnenmarkt einschließlich der Zollunion und verkauft das ihren Bürgern als „harten Brexit“. Doch längst ist absehbar, dass dies der britischen Wirtschaft einen unheilbaren Schaden zufügen würde. Ohne Zugang zum Binnenmarkt verliert das Land seinen wirtschaftlichen Motor: die Investoren aus dem Ausland.

Das dokumentiert ein Schreiben des Außenministeriums von Japan, dessen Finanz-, Auto- und Konsumgüterkonzerne England bisher als europäische Produktionsplattform nutzen. Auf 15 Seiten ist dort aufgelistet, dass Japans Unternehmen alle Kernelemente des Binnenmarktes für unverzichtbar halten, wenn sie weiterhin dort investieren sollen, darunter auch „mindestens die Beibehaltung des bisherigen Einwanderungssystems“. Das sehen die Manager der Universitäten und des nationalen Gesundheitssystems nicht anders. Auch sie sind fundamental auf Wissenschaftler, Ärzte und Pfleger aus der EU angewiesen, genauso wie Britanniens Bauindustrie ohne ihre osteuropäischen Handwerker in eine tiefe Krise geraten würde. Der Einwanderungsstopp für EU-Bürger, wie ihn die Brexiteers versprachen, ist wirtschaftlich nicht zu realisieren.

Und zu allem Überfluss haben May und ihre Minister bis heute keinen Plan, wie der Ausstieg praktisch funktionieren soll. Nicht nur fehlen die nötigen Kapazitäten zur Warenabfertigung in den Häfen. Zudem würde eine EU-Außengrenze zwischen der Republik Irland und der britischen Provinz Nordirland entstehen. Die Iren auf beiden Seiten werden es sich ganz sicher nicht gefallen lassen, dass dort wieder reguläre Grenzkontrollen stattfinden. Merke: Die transnationale wirtschaftliche Integration ist nur unter größten Opfern wieder umzukehren.

Genau das ist auch bei den meisten Briten angekommen. Eben darum verloren May und ihre Hardliner nun die Mehrheit im Parlament. Ihnen wird daher gar nichts anderes übrig bleiben, als bei den Verhandlungen in Brüssel Kompromisse zu machen, um zu zu retten, was zu retten ist. Der harte Brexit jedenfalls wird nicht stattfinden, und das nicht zuletzt weil die jungen Briten anders als beim Referendum dieses Mal in großer Zahl zur Wahl gingen und gegen die Nationalisten votierten. Auch davon können die anderen Europäer lernen. Gut, dass es die Briten gibt.

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