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Noch ist Großbritannien mit dem Energiemarkt auf dem Kontinent eng verbunden.

© imago/blickwinkel

Britischer Energiesektor nach dem Brexit: Unter Spannung

Analysten haben die Herausforderungen untersucht, die den britische Energiesektor nach dem Brexit erwarten. Fazit: Der Sektor braucht nach dem Ausscheiden aus der EU Übergangsregelungen.

Der britische Austritt aus dem gemeinsamen EU-Energiemarkt scheint besiegelt. Dies geht aus einem Bericht hervor, den die Boston Consulting Group am Mittwoch zusammen mit dem Global Counsel und Herbert Smith Freehills veröffentlichte. In der Einleitung des Berichts mit dem Titel „Starke Ströme: Den Post-Brexit Energiemarkt steuern“ (engl.: „Strong currents: Navigating the post-Brexit energy market“) heißt es: „Ein Verbleib Großbritanniens im europäischen Energie-Binnenmarkt lässt sich mit den erklärten politischen Zielen der britischen Regierung nicht vereinbaren.“

Für die Energiewirtschaft ist die Liste der offenen Fragen nach dem Brexit lang; es geht um Handelsgesetze und Zölle, aber auch um atomare Sicherheit und die britische Partizipation im EU-Emissionshandelssystem.

Die einzige gute Nachricht, die der Bericht bereithält, ist dabei wenig überraschend: physische Energieverbindungen werden nicht über Nacht verschwinden. „Die wirtschaftlichen Anreize, um den derzeitigen Stand der Marktintegration via physischer Elektrizitäts- und Gasleitungen beizubehalten oder sogar zu steigern, sind sowohl für Großbritannien als auch für die EU groß.“

Was wird aus dem gemeinsamen Markt in Irland?

Soviel zu den positive Erkenntnissen des Berichts. Durch den Brexit entstehen für Großbritannien jedoch eine Reihe andere Fragen, die über die Existenz von Leitungen nach Europa hinausgehen. „Wie will Großbritannien radioaktive Materialien beziehen und eintauschen, wenn das Land nicht mehr Teil der Euratom-Verträge ist? Wie soll eine sichere Gasversorgung als EU-Drittstaat erreicht werden? Und wie sollen CO2-Ausstöße angerechnet werden, wenn Großbritannien auch das europäische System zum Emissionshandel verlässt, wie zu erwarten scheint?“, fragen die Verfasser des Reports.

Ein besonders schwieriges Thema sei die komplexe Situation auf dem sogenannten Single Electricity Market auf der irischen Insel, unter dem Elektrizität über die irisch-nordirischen Grenzen hinweg transportiert wird.

Angst vor historischem Scheitern

Am meisten Sorgen macht den Autoren aber das „Abgrund-Szenario“: dass Großbritannien die EU verlassen könnte, ohne dass die beiden Seiten sich vorher auf eine Übergangsregelung einigen. Dieses Ergebnis sei zwar unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. „Tatsächlich würden sowohl Großbritannien als auch die EU einen solchen Ausgang natürlich als historisches Scheitern ansehen. Sie werden alles tun, dies zu verhindern”, erklärt Matthew Duhan von Global Counsel. „Aber die Verhandlungen werden hart, und mit einer Minderheitsregierung im Königreich, die dazu auch noch uneins ist, könnte es tatsächlich zu einem ’No Deal’-Szenario kommen.“

Großbritannien im EU-Warteraum?

Der Bericht unterstreicht an mehreren Stellen die Bedeutung von Übergangsregelungen, um einen sanften Brexit zu sichern. Für Duhan ist das wahrscheinlichste Ergebnis eine fortbestehende Verbindung über die existierenden Leitungen und mit einer bilateralen Energie-Vereinbarung. Dennoch sei es „noch ein weiter Weg, bis solch eine Vereinbarung gesichert ist“, warnt er.

Eine alternative Option nach dem Brexit wäre ein Beitritt Großbritanniens zur Energiegemeinschaft zwischen den EU-27 und ihren Nachbarn, derzeit hauptsächlich auf dem Westbalkan. „Das ist keine wirklich maßgeschneiderte Lösung, kann aber vielleicht als Ansporn für ein wirklich gutes Abkommen dienen“, glaubt Silke Goldberg von Herbert Smith Freehills. „Dass Großbritannien sich in eine Gemeinschaft eingliedert, die im Grunde ein Warteraum für den EU-Beitritt ist, und dazu noch von wesentlich kleineren Ländern wie Albanien, Moldawien und der Ukraine bevölkert wird, ist wohl für niemanden das bevorzugte Brexit-Ergebnis.“

Übersetzung: Tim Steins

Erschienen bei EurActiv.
Das europapolitische Onlinemagazin EurActiv und der Tagesspiegel kooperieren miteinander.

Frédéric Simon

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