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Update

Bundespräsident unter Druck: Wulff lässt Prozess wegen angeblichen Hitlergrußes platzen

Der von Wulff angestrengte Strafprozess wegen Verunglimpfung seiner Frau ist geplatzt – er hätte negative Schlagzeilen gebracht. Doch auch neue Vorwürfe werden wieder laut.

Wenn man sich entschuldigt, soll die Sache erledigt sein, meint Bundespräsident Christian Wulff. Gilt das in jedem Fall? Und nicht nur für ihn? Bis Dienstag hatte der Bundespräsident noch an einem umstrittenen Verfahren wegen Verunglimpfung seines Amtes und seiner Person vor der Staatsschutzkammer des Landgerichts Dresden festgehalten, obwohl sich der Angeklagte bei ihm entschuldigt hatte. Erst dann, am Mittag, sagte das Präsidialamt den für Mittwoch geplanten Termin per Fax kurzfristig ab. Offenbar fürchtete man neue Negativschlagzeilen und erkannte eine Schieflage: Der Präsident ist derzeit nicht nur im Internet Zielscheibe von Hohn und Spott. Eine einzelne Verurteilung deswegen könnte so aussehen, als hadere das Staatsoberhaupt erneut mit den Grundrechten der Meinungs- und Pressefreiheit. Diesmal wollte er offenbar vorbeugen.

Der Angeklagte, ein Bürger aus Zittau, hatte auf seiner Facebook-Seite ein Foto des Präsidentenpaares beim Einzug ins Schloss Bellevue 2010 mit einem angeblichen Hitlergruß verbunden. Beide stehen auf der Treppe, Bettina Wulff reckt den rechten Arm schräg in die Höhe, er winkt. Dazu hatte der Angeklagte folgenden Text gestellt: „Na Klasse, immer formvollendet unsere gesalbten Oberhäupter“ und: „Fehlt eigentlich nur noch das Schiffchen auf dem Kopf der Dame und schon haben wir fast ein Blitzmädel im Afrikaeinsatz – hübsch – wenn dieser Herr daneben nicht wäre.“ „Blitzmädel“ hießen in der Sprache der Soldaten Wehrmachtshelferinnen. Deshalb war der Mann auch wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Verbreiten von Propagandamitteln angeklagt worden.

Das Verfahren war nur möglich geworden, weil Wulff eine Ermächtigung dazu erteilt hatte. Die Verunglimpfung des Bundespräsidenten nach Paragraf 90 Strafgesetzbuch ist der Nachfolgetatbestand der klassischen Majestätsbeleidigung und wird mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft. Verfahren sind äußerst selten. Zu einem hatte Wulff einmal ermächtigt, nachdem er während seines Antrittbesuchs in Hessen im April 2011 mit Eiern beworfen wurde. Der Angeklagte wurde zu einer Geldstrafe verurteilt.

Der Anwalt des Angeklagten Torsten Mengel begrüßt Wulffs Entscheidung. Er teile zwar nicht den Humor seines Mandanten, „aber das fällt unter Meinungsfreiheit“. Es wäre zudem zu erwarten gewesen, dass sich der Prozess durch die Instanzen gezogen hätte. Nach dem Bundesgerichtshof hätte auch das Bundesverfassungsgericht noch prüfen können, ob der Angeklagte sein Recht auf Meinungsfreiheit wirklich überschritten hat. Eine besondere politische Note hätte der Prozess durch eine Personalie erhalten. Der Vorsitzende Richter ist Peter Lames, der in Dresden bereits für die SPD für das Bürgermeisteramt kandidiert hatte.

Der Angeklagte hatte sich vergangene Woche in einem langen Brief an Wulff entschuldigt. „Ich bitte um Entschuldigung dafür, dass ich nicht das notwendige Feingefühl fand, um zu erkennen, dass Sie diese Worte und dieses Bild verletzen könnten. Ich bitte Sie ferner, mir Glauben zu schenken, dass dies alles nie in meiner Absicht stand“, heißt es darin unter anderem. Dass Wulff die Entschuldigung annahm, ließ er Gericht und Angeklagtem vergangenen Freitag mitteilen.

Ob es wirklich der Verdacht auf eine rechtsextreme Tat war, die Wulff an der Verfolgung festhalten ließ, muss offen bleiben. Hinweise darauf hatten sich jedenfalls in all den Monaten nicht gefunden, in denen das Verfahren schon lief.

Wulff kehrt zum Tagesgeschäft zurück

Christian Wulff schüttelt Hände beim Neujahrsempfang für das Diplomatische Corps.
Christian Wulff schüttelt Hände beim Neujahrsempfang für das Diplomatische Corps.

© dpa

Bundespräsident Christian Wulff ist am Dienstag nach der seit Wochen andauernden Affäre zum Tagesgeschäft zurückgekehrt. Auf dem Neujahrsempfang für das Diplomatische Korps versicherte das Staatsoberhaupt am Dienstag, Deutschland bleibe ein weltoffenes, tolerantes und Fremden gegenüber aufgeschlossenes Land. Während „Spiegel Online“ berichtete, ein weiterer Buchdeal könnte Wulff erneut in Bedrängnis bringen, warnte der Deutsche Journalisten-Verband vor Kampagnenjournalismus.

Wulff sprach auf dem Empfang die Mordserie der Rechtsextremisten, die Umbrüche in der arabischen Welt und die ungelöste Banken- und Staatsschuldenkrise an. Er rief dazu auf, Probleme mehr denn je international anzugehen. Auf die aktuellen Vorwürfe gegen ihn ging der Bundespräsident in seiner Ansprache nicht ein.

Als neuer Vorwurf tauchte am Dienstag auf, ein Freund von Wulff, der Filmproduzent David Groenewold, habe dem Autor eines im Mai 2006 veröffentlichten Buchs über den damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten mehrere tausend Euro an Honoraren gezahlt. Es gibt laut „Spiegel Online“ unterschiedliche Angaben darüber, wofür genau die Zahlungen bestimmt waren. Der Fall werfe aber Fragen auf, denn Wulff habe sich als Ministerpräsident für die Interessen der Filmbranche eingesetzt, in der Groenewold aktiv war.

Die Piratenpartei fordert wegen der Kredit- und Medienaffäre den Rücktritt des Bundespräsidenten. Dieser Schritt sei auch deswegen geboten, weil hunderttausende Beschäftigte im öffentlichen Dienst in Deutschland mit schärfsten Sanktionen belegt würden, wenn sie mit gleichen Vorwürfen wie Wulff konfrontiert würden, sagte Parteivize Bernd Schlömer.

Die Grünen werfen Wulff fehlenden Willen zu Transparenz vor. Mit seinen Aussagen sei er das Gegenteil von Glaubwürdigkeit, sagte die Vorsitzende Claudia Roth. „Seine Aussagen halten nicht mal ein Woche.“ Der Bundespräsident will seine Antworten auf Hunderte von Fragen zu seiner Kredit- und Medienaffäre doch nicht veröffentlichen.

Wulffs Frau Bettina sprach von einer „ernsten Atmosphäre“, machte aber deutlich, dass sie und ihr Mann sich nicht ablenken lassen wollten. „Mein Mann und ich gehen konzentriert unseren Aufgaben und Pflichten nach“, sagte Bettina Wulff dem „Hamburger Abendblatt“. Am Rande des Neujahrsempfangs der Zeitung erklärte sie, ihrer Ansicht nach sei zur Affäre alles gesagt.

Die Zustimmung für Wulff schwindet: Einer Blitzumfrage für die ARD-Sendung „Hart Aber Fair“ zufolge sprachen sich 46 Prozent der Deutschen gegen und ebenso viele Bürger für einen Rücktritt von Wulff aus. Damit sank Wulffs Rückhalt in der Bevölkerung im Vergleich zum Donnerstag vergangener Woche um zehn Prozentpunkte.

Der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes, Michael Konken, sieht die „dominante Medienberichterstattung“ über die Affären des Bundespräsidenten kritisch. Im Deutschlandradio Kultur sprach Konken konkret die „Bild“-Zeitung an. Diese versuche möglicherweise, die „seriösen Medien“ für sich zu benutzen, um „die Botschaft zu platzieren: Dieser Bundespräsident ist nicht mehr haltbar“.

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