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Bundestag beschließt Pflegereform: Mehr Hilfe für Demente

Mit ihrer Stimmenmehrheit hat die Koalition im Bundestag am Freitag gleich zweierlei beschlossen: Verbesserungen für Demenzkranke und ihre Angehörigen sowie die staatliche Förderung privater Pflegevorsorge. Vor allem letzteres erbost die Opposition.

Berlin - Ein zwar notwendiges, aber viel zu kleines „Reförmchen“ das eine, pure Verbrauchertäuschung und Geldverschwendung das andere Projekt: Bei der Abstimmung im Bundestag ließ die Opposition kein gutes Haar am Pflege-Doppelpack von Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP). Dessen ungeachtet schuf die Regierungskoalition nach langer, auch interner Streiterei am Freitag Tatsachen. Sie beschloss eine Leistungsausweitung, insbesondere für Demenzkranke und ihre Angehörigen, und die staatliche Förderung von privater Zusatzvorsorge. Damit verbunden ist eine Erhöhung der Pflegebeiträge um 0,1 Prozentpunkte. Ende 2009 waren in Deutschland 2,34 Millionen Menschen pflegebedürftig

Der Minister rechnete vor, dass mit der Reform rund 500 000 Demenzkranke bessere Leistungen erhielten. Bisher gehen viele von ihnen in der Pflegeversicherung leer aus, weil sie rein körperlich noch zu vielem imstande sind. Dass sie wegen ihrer geistigen Verwirrung zu Hause oft rund um Uhr betreut werden mussten, wird nicht oder kaum berücksichtigt. Nun bekommen auch Demente, die durchs Raster fielen, Anspruch auf Pflegegeld (120 Euro) oder Sachleistungen (bis zu 225 Euro). In den Pflegestufen I und II werden die Beträge aufgestockt (im ersten Fall von 450 auf 665 Euro im Monat, im zweiten von 1100 auf 1250 Euro), nur in der höchsten Stufe bleiben die Sätze unverändert. Alles viel zu wenig, monieren die Kritiker, verweisen auf die Heimbewohner, deren Leistungen nicht angepasst werden – und mahnen, dass die längst überfällige Neudefinition von Pflegebedürftigkeit erneut auf die lange Bank geschoben wurde. Darüber brüten Experten seit Jahren, aber auch in dieser Legislatur wird es nach Einschätzung des Ministeriums nichts mehr. „Sie haben uns einen Elefanten versprochen und eine Mücke geliefert“, schimpfte die SPD-Abgeordnete Angelika Graf im Bundestag. Bahr habe „die Probleme auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben“, konstatierte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. So gut wie alle Pflege- und Wohlfahrtsverbände teilen diese Kritik.

Als zu mickrig bewerten sie auch andere Verbesserungen. Pflegende Angehörige bekommen das Pflegegeld künftig nicht mehr gestrichen, sondern zur Hälfte weiterbezahlt, wenn sie mal pausieren und Kurzzeitpflege in Anspruch nehmen. Und Pflege-Wohngemeinschaften sollen pauschal 200 Euro im Monat für die Beschäftigung einer Hilfskraft erhalten. Als Anreiz zur Neugründung einer Pflege- WG gibt es einmalig bis zu 2500 Euro pro Bewohner und maximal 10 000 Euro pro Wohngruppe. Allerdings ist dieses Programm zeitlich befristet. Die vorgesehenen 30 Millionen Euro reichen grade mal für 3000 Wohngemeinschaften. Experten fürchten zudem, dass derart geförderte WGs zu „Elendsquartieren“ verkommen könnten, da keiner genau hinschaue.

Lob haben sie dagegen für den Vorstoß, die Leistungen flexibler zu gestalten. Bedürftige müssen sich nicht mehr mit purer Verrichtungspflege begnügen, sie können alternativ Zeitkontingente wählen oder eine Pflegekraft nur fürs Aufpassen, Vorlesen, Spazierengehen buchen. Die Verbände goutieren auch die kleine Daumenschraube, die den Pflegekassen verpasst wurde. Wenn sie nicht fristgerecht über die Leistungsanträge entscheiden, müssen sie dem Antragsteller künftig für jede Woche Verzögerung 70 Euro bezahlen.

Tatsächlich hat Bahr noch manch weitergehende Leistungsverbesserung gewollt, wurde aber von Union und Finanzpolitikern der eigenen Partei zurückgepfiffen. Mehr als die 1,1 Milliarden Euro, die nun pro Jahr zusätzlich aufgewendet werden müssen, seien nicht drin, signalisierten sie ihm. Schließlich ist schon dafür nötig, was Schwarz-Gelb tunlichst vermeiden wollte: eine Beitragserhöhung. Zum Jahreswechsel steigt der Satz von 1,95 auf 2,05 Prozent (für Kinderlose 2,3 Prozent). Opposition und Pflegeverbände behaupten, dass es bei den Bürgern durchaus Bereitschaft gegeben hätte, für eine ordentliche Reform stärker belastet zu werden. Unterm Strich haben Arbeitnehmer nun sogar mehr auf dem Lohnzettel als vorher, denn zeitgleich werden die Rentenbeiträge gesenkt. Wie es aussieht, gleich um 0,6 Prozentpunkte.

Die schärfste Kritik handelte sich der Minister aber für das ein, was er auf die Reform draufgesattelt hat: die Förderung

privater Pflegetagegeldversicherungen.
Mit fünf Euro im Monat werden solche Policen künftig bezuschusst. Bedingung: Der Versicherte muss jährlich mindestens 120 Euro einzahlen und eine Leistung von mindestens 600 Euro in der Pflegestufe III absichern. Im Gegenzug dürfen die Anbieter weder Gesundheitsprüfung noch Risikoaufschlag verlangen – was die Benachteiligung von Vorerkrankten ausschließt, jedoch auch den Effekt hat, dass die geförderten Produkte teurer werden als bisherige Tagegeldpolicen.

Nach langem Feilschen hat der Finanzminister für Bahrs Lieblingsprojekt 100 Millionen Euro im Jahr zugesagt. Das reiche grade mal für 1,7 Millionen Verträge und damit für zwei Prozent der Bevölkerung, rechnete ihm die Opposition nun vor. Ein „Witz“, sagt Elke Ferner (SPD), mit Vorsorge habe das nichts zu tun. Zudem sei der Zuschuss so gering, dass sich Geringverdiener die Policen nicht leisten könnten, kritisierte die Linkspartei. Die Förderung sei nichts anderes als der Einstieg in eine „Zwei-Klassen-Pflege“.

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