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Letzte Hilfe. An diesem Freitag entscheidet der Bundestag über die Sterbehilfe.

© dpa

Bundestag zur Sterbehilfe: Soll es erlaubt sein, beim Suizid zu assistieren?

Heute entscheidet der Bundestag über die Sterbehilfe, eine heftige Debatte wird erwartet – die Fronten gehen durch alle Fraktionen. Ein Überblick.

An diesem Freitag findet im Bundestag eine große und heftige Debatte zur Sterbehilfe statt. Der Bundestag soll sich für einen von vier Entwürfen entscheiden, um die Sterbehilfe neu zu regeln. Möglich ist allerdings auch, dass alles so bleibt wie bisher.

Worum es bei der Abstimmung geht

Zunächst einmal: Nicht um aktive Sterbehilfe. Eine Tötung auf Verlangen ist in Deutschland verboten und daran will, auch wenn dies gelegentlich in Umfragen gefordert wird, im Bundestag keiner rütteln. Entschieden werden soll lediglich über die sogenannte Suizidbeihilfe, bei der Sterbewillige die Tatherrschaft behalten und die Helfer lediglich das Instrumentarium oder den Medikamentencocktail bereitstellen. Diese „Beihilfe“ ist bisher in Deutschland ungeregelt und deshalb – wie der Suizid selber – auch nicht strafbar.

Allerdings haben die zunehmenden Aktivitäten von Ärzten und Sterbehilfevereinen dazu geführt, dass viele Abgeordnete nun eine Zäsur setzen und zumindest die Geschäftemacherei damit verbieten wollen.

Dabei stellt sich aber die Frage der Abgrenzung. Soll nur Suizidbeihilfe unter Strafe gestellt werden, mit der nachweislich Geld verdient wird? Sollen auch Vereine darunter fallen, die ihre Aktivitäten über Mitgliedsbeiträge finanzieren? Und will man auch Mediziner stoppen, die qua Beruf ständig mit Sterbenden zu tun haben und ihnen dadurch auch immer wieder mal, weil sie darum gebeten werden, beim Suizid assistieren?

Worüber abgestimmt wird

Den Abgeordneten liegen vier Gesetzentwürfe vor. Sie reichen vom Totalverbot jeglicher Suizidbeihilfe bis zur ausdrücklichen Erlaubnis von ärztlicher Assistenz und nicht kommerziell betriebenen Sterbehilfevereinen. Die meisten Unterschriften, nämlich gut 270, hat bislang eine Gruppe um Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD), die nicht nur „gewerbsmäßige“, sondern auch alle Formen einer auf Wiederholung angelegten „geschäftsmäßigen“ Suizidbeihilfe unter Strafe stellen wollen. Suizidbeihilfe im Einzelfall soll demnach allerdings wie bisher straffrei bleiben.

Auf gerade einmal halb so viele Unterstützer kommt die Forderung von Peter Hintze (CDU) und Karl Lauterbach (SPD), Ärzten ein solches Mittel bei der Selbsttötung ausdrücklich zu erlauben – bei voll einwilligungsfähigen Patienten, die dies wünschen und deren Krankheit irreversibel zum Tode führt. Eine kleinere Gruppe um Renate Künast (Grüne) und Petra Sitte (Linke) möchte bloß eine offensichtlich auf Kommerz angelegte Suizidbeihilfe verboten und alle anderen, auch regelmäßigen Betätigungen durch Sterbehilfevereine oder Ärzte erlaubt haben.

Und ein weiterer kaum mehrheitsfähiger Kreis um Thomas Dörflinger und Patrick Sensburg dringt auf die rigide Bestrafung jeglicher Form von Suizidbeihilfe. Neu hinzugekommen ist in dieser Woche dann noch der Antrag, alles beim Alten und damit weiterhin ungeregelt zu lassen. Initiiert hat ihn die Grünen-Abgeordnete Katja Keul, zu den Unterstützern gehören die frühere Justizministerin Brigitte Zypries und der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses, Edgar Franke (beide SPD).

Wie abgestimmt wird

Weil sich die Abgeordneten nicht auf eine Reihenfolge einigen konnten, wird nach dem sogenannten Stimmzettel-Verfahren abgestimmt. Im ersten Durchgang werden alle vier Gesetzentwürfe zur Entscheidung gestellt, im zweiten stehen nur noch die beiden Bestplatzierten zur Wahl. In der dritten Runde schließlich wird der Antrag mit den meisten Ja-Stimmen erneut zur Abstimmung gestellt. Um ihn Gesetz werden zu lassen, reicht dann eine einfache Mehrheit. Kommt sie nicht zustande, bleibt die Beihilfe zum Suizid straffrei.

Gewissermaßen zur Bestätigung würde dann auch noch über den Antrag abgestimmt, keine gesetzlichen Regelungen zu treffen. Die Abstimmung erfolgt namentlich. Und vorher kommen die Vertreter sämtlicher Gruppen zu Wort, voraussichtlich mit Redezeiten von jeweils fünf Minuten. Wie viele Redner jede Gruppe dabei aufbieten darf, hängt von der Zahl ihrer Unterstützer ab. Die Größe der Fraktionen spielt bei der Redezeit-Bemessung keine Rolle.

Keine Fraktionsdisziplin

Die Abgeordneten können und sollen diesmal nicht nach Fraktionsmehrheiten, sondern frei nach ihrem Gewissen entscheiden – wie es das Grundgesetz eigentlich prinzipiell vorsieht. Entsprechend bunt verteilt sind die Unterschriften unter den verschiedenen Anträgen. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) etwa unterstützt die Forderung, ärztlich assistierten Suizid zu erlauben, während Gesundheitsminister Hermann Gröhe (ebenfalls CDU) und auch Parteichefin Angela Merkel davon gar nichts halten.

Allerdings hat ein gemeinsamer Brief der Fraktionsvorsitzenden von Union, SPD und Grünen zu Irritationen geführt. Volker Kauder (CDU), Thomas Oppermann (SPD) und Katrin Göring-Eckardt (Grüne) riefen dazu auf, kein „falsches Signal“ auszusenden. Geschäftsmäßige Sterbehilfe müsse verboten werden. Abgeordnete, die das anders sehen, empfanden dies als Beeinflussungsversuch und Verstoß gegen die gebotene Neutralität. Allerdings planen sie selber taktische Spielchen. So kündigten Hintze und Künast an, ein Verbot geschäftsmäßiger Suizidbeihilfe notfalls gemeinsam verhindern zu wollen.

Wen Verbote treffen könnten

Die Strafbarkeit organisierter Sterbehilfe soll Vereine wie den des früheren Hamburger Senators Roger Kusch lahmlegen, der Mitgliedern gegen eine Aufwandsentschädigung Suizidhilfe anbietet. Das Tatbestandmerkmal „geschäftsmäßig“ soll Strafe auch dann ermöglichen, wenn die Vereine ohne Gewinnabsicht arbeiten, meint die Gruppe um Brand/Griese. Die Gefahr besteht, dass damit auch Mediziner kriminalisiert werden, die wiederholt sterbende Patienten beraten und ihnen Medikamente verabreichen.

Auf dieses Risiko hatte auch das Bundesjustizministerium hingewiesen, das einzelnen Abgeordneten rechtliche Einschätzungen lieferte. Die Abgeordneten aus der Gruppe meinen gleichwohl, dass ihr Entwurf keine Mediziner erfassen würde. Um dies auszuschließen, setzt der Entwurf Künast/Sitte auf die Formulierung „gewerbsmäßig“. Auf dieses Merkmal hob auch ein Entwurf ab, den das Bundesjustizministerium in der vergangenen Legislaturperiode vorgelegt hatte.

Wie es ohne gesetzliche Regelung weitergehen würde

Das Justizministerium hat in seiner internen Einschätzung für das Parlament auch dazu Stellung genommen: Es sei anerkannt, dass ein Arzt todkranken Patienten schmerzstillende Medikamente auch dann geben darf, wenn diese sein Sterben beschleunigten. Auch ein Behandlungsabbruch („Sterbenlassen“) sei möglich, wenn der Betroffene dies eindeutig wolle.

Das Ministeriumsgutachten weist zudem auf die neuere Rechtsprechung hin, wonach bei einem freiverantwortlichen Suizidversuch Ärzte oder andere Dritte auch dann nicht eingreifen müssen, wenn der Sterbende das Bewusstsein verliert. Diese Rechtsprechung begünstigt Sterbehilfevereine wie den von Kusch. Der Verzicht auf eine Regelung könne solche Vereine ermuntern, „richtig loszulegen“, befürchtet der CDU-Abgeordnete Brand. Insbesondere alte und kranke Menschen gerieten dann immer stärker unter Druck, ihr Leben mit fremder Hilfe zu beenden.

Wie die Sterbehilfe in der EU geregelt ist

Aktive Sterbehilfe, also die Tötung auf Verlangen, ist fast überall in der EU verboten. Eine Ausnahme bilden Belgien, die Niederlande und Luxemburg, wo Ärzte bei „voll zurechnungsfähigen“ Patienten auch selber Hand anlegen dürfen. In Holland und Belgien sind davon selbst Kinder nicht ausgenommen. In der Schweiz dagegen, wo Organisationen wie „Exit“ und „Dignitas“ auch Sterbewilligen aus Deutschland die Selbsttötung offerieren, ist nicht einmal die Suizidbeihilfe ausdrücklich erlaubt. Sie wird dort nur toleriert, wenn sie nicht „aus selbstsüchtigen Beweggründen“ angeboten wird.

Besonders strikt dagegen sind die Regelungen in Griechenland und Polen, wo auch die Beihilfe zur Selbsttötung strikt verboten ist. In Frankreich gibt es eine vergleichbare Debatte wie in Deutschland. Bisher durften unheilbar Kranke dort auch schmerzstillende Arznei erhalten, wenn diese den Tod beschleunigt. Nun ringen die Franzosen um weitere Klarstellungen. Unter anderem wird darüber gestritten, ob bei Todkranken die künstliche Ernährung beendet werden darf. In Deutschland ist dies bisher nicht strafbar und soll es auch nicht werden.

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