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In einer ehemaligen Kaserne auf dem Gelände des Übungszentrums in der Colbitz-Letzlinger Heide trainieren Bundeswehrsoldaten den Häuserkampf.

© Volker Schubert

Bundeswehr: Häuserkampf in der Altmark

Die Bundeswehr plant eine Phantomstadt bei Magdeburg – so sollen realitätsnahe Übungen möglich werden. Beim bevorstehenden ersten Spatenstich dürfte es Proteste geben.

Rund 40 Kilometer nördlich von Magdeburg liegt die Colbitz-Letzlinger Heide – ein Refugium, das unterschiedliche Assoziationen weckt. Einerseits beherbergt das ausgedehnte Naturareal mit dem größten Lindenwald Mitteleuropas ein ökologisches Kleinod und anderseits das Gefechtsübungszentrum des Heeres. Im Bundeswehrjargon wird es kurz „GÜZ“ genannt. Bei einer Fläche von 232 Quadratkilometern ist das GÜZ mit dem Truppenübungsplatz „Altmark“ nach dem niedersächsischen Bergen und dem bayerischen Grafenwöhr Deutschlands drittgrößtes Manövergebiet. Für Frank Wedhorn, den Abteilungspräsidenten der Wehrbereichsverwaltung Ost, ist der Übungsplatz ebenfalls „eine echte Perle“. Sie soll ganz im Sinne der Berliner Militärplaner demnächst in neuem Glanz erstrahlen.

Im GÜZ will die Bundeswehr in den kommenden drei Jahren eine komplette Stadt aus dem Boden stampfen. Wegen einer einstigen Waldarbeitersiedlung soll die Phantomstadt schlicht „Schnöggersburg“ heißen. Doch hinter dem eher unspektakulär klingenden Ortsschild dürfte bald Bundeswehrgeschichte geschrieben werden.

Ab Herbst werden Bagger durchs Heideidyll rollen und für das Übungszentrum „Urbaner Ballungsraum“ eine komplette Stadtinfrastruktur mit Verkehrsknotenpunkten, Kanalisation und Autobahntrassen in die karge Landschaft wälzen. Das ist ein ambitioniertes Vorhaben, denn sind alle Reißbrettplanungen realisiert, wird Deutschland europaweit über das modernste Gefechtszentrum für Militärmissionen in Stadtgebieten verfügen. Insgesamt sind 520 Bauten in Planung, darunter Regierungsgebäude, Sakralbauten, Einkaufszentren und Wohngebiete. Zudem wird es auf der Fläche ein Sportstadion, Industrieanwesen sowie Slumhütten und Müllhalden geben. Wenn bis 2016 die Verkehrsinfrastruktur steht und die ersten 180 Gebäude „bezugsfertig“ sind, soll der Übungsbetrieb starten. Dann sollen bis zu 1500 Soldaten gleichzeitig in der Phantomstadt trainieren können. Auch multinationale Verbände sollen hier üben, pro Jahr werden insgesamt bis zu 25 000 Soldaten erwartet. Mit der endgültigen Fertigstellung rechnet die Truppe ab 2017. „Das Bauvolumen umfasst rund 100 Millionen Euro“, sagte der Abteilungspräsident der Wehrbereichsverwaltung Ost, Wedhorn, dem Tagesspiegel.

Der militärische Zweck des Ausbaus des Gefechtsübungszentrums habe mit der globalen Bedrohungslage zu tun, sagte der GÜZ-Interimsleiter Dieter Sladeczek. Demoskopen zufolge würden bis zum Jahr 2030 rund 60 Prozent der Weltbevölkerung in urbanen Ballungsräumen leben. In solchen Megacitys spielten sich folglich auch die Konflikte der Zukunft ab. Dass Operationen in solchen Megacitys auch kriegsähnliche Kampfeinsätze beinhalten, liegt naturgemäß auf der Hand. Die Szenarien reichen dabei von Kampfeinsätzen über friedenserhaltende Stabilisierungsmissionen bis hin zu humanitären Aufgaben.

Deshalb müsse sich die Bundeswehr beim Krisen- und Konfliktmanagement auf alle militärischen Eventualitäten vorbereiten, sagte Sladeczek. Einsätze an komplexen Konfliktschauplätzen würden besonders hohe Anforderungen an die Truppe stellen, sagte der GÜZ-Interimsleiter.

Entsprechend realitätsnah werden die Übungen in Schnöggersburg ablaufen. Neben lasergestützter Duellsimulation wird im Übungszentrum eine neue Technik installiert werden, mit der die Waffenwirkung an und in Gebäuden nahezu naturgetreu nachgeahmt werden kann. In der Kampfstadt wird auch die Luftwaffe Präsenz zeigen. Weil sich die Heidelandschaft als Behelfslandebahn eignet, wird es jährlich bis zu 20 Starts und Landungen mit dem neuen Militärtransporter Airbus A 400 M geben.

Doch ehe in Schnöggersburg der erste Staub von der Truppe selbst aufgewirbelt wird, ist mit etlichen Demonstrationen zu rechnen. Beim bevorstehenden ersten Spatenstich dürfte es Proteste geben. Übers Internet rufen linksradikale Gruppen zu einem internationalen Anti-GÜZ-Camp auf, bei dem sie das Übungszentrum „entern, lahmlegen und umgestalten“ wollen. Der Bundestagsabgeordnete Paul Schäfer unterstützt die „antimilitaristischen Blockadeversuche“. Der Linken-Verteidigungssprecher bezeichnete das Projekt als „Stadtkriegsschule“. „Das ist ein neuer Schritt in Richtung weltweiter und permanenter Kriegsbefähigung“, sagte er. Weil der Ausbau des GÜZ in „friedens-, struktur- und umweltpolitischer Hinsicht verwerflich“ sei, forderte die Linksfraktion die Bundesregierung zur Aufgabe des Vorhabens auf.

Unterdessen plant das Moskauer Verteidigungsministerium in Russland, rund 2400 Kilometer östlich vom GÜZ in der Altmark, den Bau des weltweit größten Heeresausbildungszentrums – ganz nach dem deutschen Vorbild. Zur Realisierung des Combat Training Center (CTC) auf dem 500 Quadratkilometer großen Militärareal Mulino in der Wolga-Region setzt das russische Militär auf den Transfer von Know-how aus Deutschland. Für die Schlüsselübergabe visieren die russischen Militärs das Jahr 2014 an. Bis zu 30 000 Soldaten sollen dann jährlich unter realitätsnahen Bedingungen trainieren können. Den reibungslosen Betrieb soll eine bilaterale Kooperation zwischen dem russischen Generalunternehmen JSCo Oboronservis und der deutschen Rüstungsschmiede Rheinmetall gewährleisten.

Volker Schubert

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