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Weissrussland: "Das war psychische Folter"

Jaroslaw Romantschuk hat am eigenen Leib erfahren, wie Präsident Lukaschenko Oppositionelle in Weißrussland unter Druck setzen lässt.

Nur vier Monate liegt sein letzter Besuch in Berlin zurück, doch Jaroslaw Romantschuk ist kaum wiederzuerkennen. Der Mann, der damals kenntnisreich und humorvoll über seine Kandidatur bei der Präsidentenwahl in Weißrussland und die Wirtschaftspolitik sprach, scheint heute gezeichnet von einer unendlichen Müdigkeit. Blasser und schmaler im Gesicht als bei unserem letzten Treffen, dunkle Ringe unter den Augen. Der Platz an seiner Seite bleibt diesmal leer: Romantschuks politischer Weggefährte und Freund Anatoli Lebedko, Vorsitzender der Vereinigten Bürgerpartei, für die Romantschuk kandidierte, sitzt im Gefängnis. Angehörige und Anwälte haben seit einem Monat keinen Kontakt zu ihm.

Die Nacht vom 19. auf den 20. Dezember hat auch bei Jaroslaw Romantschuk Spuren hinterlassen. Dabei scheint es, als habe der 45-Jährige noch Glück gehabt: Sieben der neun oppositionellen Präsidentschaftskandidaten wurden noch am Wahlabend festgenommen – wie 700 andere Menschen auch. Lebedko wurde mitten in der Nacht von Sicherheitskräften aus dem Bett geholt. Sie schlugen die Tür ein und schleiften ihn aus der Wohnung, berichtet Romantschuk leise.

Auch Romantschuk steht am Wahlabend auf dem Oktoberplatz in Minsk, wo sich tausende Oppositionsanhänger versammeln. Reden werden gehalten, andere Kandidaten hätten die Menge aufgerufen, zum Regierungsgebäude auf dem Unabhängigkeitsplatz zu gehen, sagt er. Warum, versteht er bis heute nicht. Denn dort kommt es später zu einem folgenreichen Zwischenfall: Fensterscheiben und Türen werden eingeschlagen. Die Sicherheitskräfte nehmen dies zum Anlass, brutal gegen die Demonstranten vorzugehen. Heute geht die Opposition davon aus, dass es sich um eine gezielte Provokation handelte. Vor dem Gebäude habe nicht einmal Polizei gestanden, sagt Romantschuk.

Als die ersten Polizisten auf die Demonstranten zurennen, wird Romantschuk von seinen Leuten zur Seite gedrängt. Er verlässt den Unabhängigkeitsplatz. Bald erreichen ihn erste Nachrichten über Festnahmen, er erfährt nun auch, was mit Lebedko passiert ist. „Dann bekam ich noch einen Anruf. Mir wurde gesagt, ich müsste kommen, wenn ich Menschenleben retten wollte.“ Es ist zwei Uhr nachts, als das Gespräch mit Behördenvertretern beginnt, auch Beamte aus der Präsidialverwaltung sind dabei. Sie machen massiven Druck auf ihn, drei Stunden lang. „Das war psychische Folter.“ Sie hätten ihm gesagt, er müsse etwas tun, um die angespannte Situation zu beruhigen. „Andernfalls wäre ich verantwortlich dafür, dass Leute ums Leben kämen.“ Romantschuk weiß, dass das Regime ihn „für eigene Zwecke benutzen“ will. Aber er denkt an seinen Freund Anatoli, an die Brutalität, mit der er und andere festgenommen worden waren. „Sie hätten in dieser Nacht jemanden töten können im Gefängnis.“ Am Ende willigt er ein, eine Erklärung abzugeben, in der er andere Präsidentschaftskandidaten beschuldigt, für die Unruhen verantwortlich zu sein.

Um acht Uhr morgens verliest er die Erklärung, das Staatsfernsehen überträgt. Für diejenigen, die ihn kennen, ist es klar, dass das nicht seine Worte sind. „Er las den Text ab, ohne einmal aufzusehen“, sagt ein weißrussischer Journalist. Später trifft Romantschuk sogar Staatschef Alexander Lukaschenko. Er habe ihn nur gebeten, Lebedko und die anderen Gefangenen freizulassen.

In seiner Heimat wird Romantschuk nun von manchen Oppositionsanhängern als Verräter beschimpft, etwa in den Kommentaren zu seinem Blog. Sie werfen ihm vor, einen Regierungsposten haben zu wollen, doch das weist er weit von sich. „Ich befinde mich im Kreuzfeuer: auf der einen Seite das Regime, auf der anderen Seite die demokratische Opposition.“ Romantschuk betont, dass er nach wie vor Oppositionpolitik macht – und weder seine Ansichten geändert habe noch seine Rhetorik gegenüber dem Regime. „Ich bin noch derselbe Mensch, aber mit viel mehr Erfahrungen.“

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