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Update

Das zukünftige Kabinett der großen Koalition: Was hinter den neuen Köpfen steckt

In der großen Koalition werden einige Ressorts neu zugeschnitten und viele neu besetzt. Die spannendsten Wechsel im Überblick.

Umwelt und Bau (Barbara Hendricks)

Barbara Hendricks (SPD) übernimmt ein stark geschwächtes Umweltressort. Die Zuständigkeit für erneuerbare Energien muss sie an SPD-Chef Sigmar Gabriel im Wirtschaftsministerium abgeben. Sie bleibt aber zuständig für den Klimaschutz. Darüber wird sie sich vor allem mit Gabriel auseinandersetzen müssen, denn die Energiewende steht im Zentrum der deutschen Klimapolitik. Das gleiche gilt für ihre im Umweltministerium neue Zuständigkeit für das Thema Bauen. Ihre wichtigste Aufgabe wird es sein, das Tempo bei der energetischen Gebäudesanierung zu erhöhen. Auch da ist sie auf Gabriel angewiesen, in dessen Haus offenbar die Zuständigkeit für das Thema Energieeffizienz verbleiben soll. Als Staatssekretär wird sich Florian Pronold um das Thema kümmern. Zudem bekommt Hendricks den Chef des Umweltbundesamtes, Jochen Flasbarth, und die baden-württembergische Abgeordnete Rita Schwarzelühr-Sutter an die Seite.

Die 61-Jährige bisherige SPD-Schatzmeisterin wird sich als so ziemlich erste Tat mit der Frage auseinandersetzen müssen, wo die Castoren mit radioaktivem Müll aus den Wiederaufarbeitungsanlagen La Hague und Sellafield unterkommen sollen. Denn als Nebenvereinbarung zum Standortauswahlgesetz war beschlossen worden, dass sie nicht mehr ins Zwischenlager Gorleben transportiert werden sollen. Das war ihrem Vorgänger, Peter Altmaier (CDU), nicht gelungen.

Hendricks, die jahrelang Staatssekretärin im Finanzministerium war, steht im Umweltministerium für Kontinuität: Außer Klaus Töpfer hatte kein Amtschef schon vorher Erfahrungen in der Umweltpolitik. Hendricks kommt aus Nordrhein- Westfalen, sie dürfte die Probleme der dortigen Kommunen genau kennen. Ob sie das als Auftrag für das Bauministerium versteht, dürfte nur sie wissen. Sicher ist aber, dass das mit ihrer Zuständigkeit für den Naturschutz kollidieren wird.

Justiz und Verbraucher (Heiko Maas)

Bis 2001 hatten die Agrarminister mit Verbraucherschutz nichts am Hut. Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, das war’s für Ertl, Kiechle & Co. Doch dann kam die Grüne Renate Künast und wollte die Gegensätze zusammenbringen. Was nie wirklich funktioniert hat. Auf der einen Seite die knallharten Interessen der Ernährungsindustrie, auf der anderen die Bewahrung vor ebendiesen, und alles im selben Haus? Es ist es nur konsequent, dass der Verbraucherschutz nun wieder aus der Lobbyisten-Anlaufstelle abgezogen wird und dorthin wandert, wo er auch ordentlich Rechtswirksamkeit entfalten kann: im Justizressort. Der Zuständige für beides ist die wohl größte Überraschung im Personaltableau der SPD. Heiko Maas, den Vize-Regierungschef aus dem Saarland, hatte nun wirklich keiner für die Bundespolitik auf dem Schirm.

Drei Wahlen hat Maas in der einstmals roten Hochburg an der Saar als Spitzenkandidat verloren, an sein Regierungsamt dort kam er nur als Juniorpartner der CDU. Doch der Nimbus des Talentierten ist dem einstigen Zögling von Oskar Lafontaine geblieben – und sein derzeitiger Ministerposten ist auch Ausdruck einer gewissen Allrounder-Fähigkeit. Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Energie, das muss man erst mal zusammenbringen. Landesumweltminister war er übrigens auch schon mal. Der stets jünger wirkende 47-Jährige hat sich mit den Jahren vom Linken zum Parteipragmatiker entwickelt, er hat beste Drähte zu Sigmar Gabriel, und er verfügt als Hobby-Triathlet auch über eine beachtliche Zähigkeit. Fürs Justizministerium qualifizieren den Sohn eines Berufssoldaten zwei juristische Staatsexamina. Unterstützt wird Maas vom bisherigen Chef der Verbraucherzentrale Bundesverband, Gerd Billen, Ulrich Kelber und Christian Lange, die Staatssekretäre werden.

Das Verkehrsministerium wird ums Digitale aufgemotzt - das ist wichtig für die CSU

Verkehr und Digitales

Alexander Dobrindt, einst als „Doofbrindt“ verspottet, wird nun der wichtigste Mann für CSU-Chef Horst Seehofer in Berlin. Denn Dobrindt bekommt ein um das Digitale aufgemotztes Verkehrsministerium, womit er für zwei ganz wesentliche CSU-Projekte verantwortlich ist: die Pkw-Maut für Ausländer und den Breitbandausbau. Dabei wird er von zwei Staatssekretärinnen und einem Staatssekretär unterstützt: Dorothee Bär (CSU) wechselt vom Posten der Dobrindt-Vize als CSU-Generalsekretärin ins Ministerium und soll dort fürs Digitale zuständig sein. Die Brandenburgerin Katherina Reiche (CDU) wechselt aus dem Umweltministerium ins Verkehrsministerium. Enak Ferlemann (CDU) bleibt auf seinem Posten. Dass Peter Ramsauer, ohnehin kein enger Freund Seehofers, nicht nur das Ministerium, sondern das Kabinett gleich ganz verlassen muss, hängt auch mit der Maut zusammen. Ramsauer war nie ein großer Freund der Maut und als vor wenigen Tagen noch bekannt wurde, dass es im Ministerium noch nicht mal ein Konzept gebe, dürfte Seehofers Geduld am Ende gewesen sein. Nun wird mit Dobrindt ein enger Vertrauter Seehofers im Ministerium das Projekt beschleunigen. Um Beschleunigung geht es auch beim Breitbandausbau. Bayern hinkt da im nationalen Vergleich deutlich hinterher. Gerade einmal 50 Prozent haben laut Bundeswirtschaftsministerium in Bayern einen schnellen Netzanschluss, in NRW sind es fast 70, in Berlin sogar fast 88 Prozent. Vor allem viele Klein- und mittelständische Betriebe leiden unter dieser Situation. Dobrindt wird da eng mit dem bayerischen Finanzminister Markus Söder zusammenarbeiten, der den Breitbandausbau kürzlich als Teil der „Daseinsvorsorge“ bezeichnet hatte. Die Debatten mit dem Bundesfinanzminister dürften da schwieriger werden. Ob sich durch Dobrindt an der Politik des Bundes in Bezug auf den Flughafen BER etwas ändert, bleibt abzuwarten. Im Koalitionsvertrag haben sich die Parteien zum BER bekannt.

Gesundheit

Ein komplett Fachfremder als Chef in einem Ressort, um dessen komplizierte Materie nicht nur die Wald- und Wiesen-Abgeordneten gerne einen weiten Bogen machen, sondern auch die Parteiführungen. Und in dem man den wohl aggressivsten Lobbyisten der Berliner Szene standhalten muss. Im Internet spotten Mediziner bereits über die Berufung des gelernten Rechtsanwalts und bisherigen CDU-Generals Hermann Gröhe zum Gesundheitsminister. Ein Beleg wieder mal für den Usus, verdiente Politiker unabhängig von ihrer Qualifikation mit Spitzenposten in gerade verfügbaren Ministerien zu versorgen? Und hätte man für den Gesundheitsdschungel diesmal nicht gleich mehrere bestens ausgewiesene Experten gehabt – vom gesundheitspolitischen Sprecher Jens Spahn über die gelernte Ärztin Ursula von der Leyen bis hin zum SPD-Professor Karl Lauterbach?

Fakt ist, dass Leyen nicht wollte, den Roten die Zuständigkeit für Arbeit und Soziales wichtiger war und der loyale Wahlmanager Gröhe aus Merkels Sicht auch mal einen Kabinettsposten erhalten sollte. Fakt ist auch, dass es in den Ministerien bei der Detailarbeit weniger auf die Führungsfigur als auf die Kompetenz der Staatssekretäre ankommt. Merkel möchte Ruhe an der Gesundheitsfront. Der Rheinländer Gröhe hat sich auf seinem Generalsposten durch seine ausgleichende Art bewährt. Dem Vater von vier Kindern gelang es, die Konservativen einzubinden und den Kontakt zu den Grünen warmzuhalten. Und der 52- Jährige steht fürs „Soziale“ – als engagierter Protestant und Mitglied der EKD-Synode. Für die Einsicht in die überfällige Pflegereform dürfte das nicht von Nachteil sein.

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