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Von rechts bis links - ein bisschen entlasten wollen alle.

© imago/photo2000

Debatte über Entlastungen: Was die Parteien in der Steuerpolitik planen

Alle Parteien wollen Klein-und Mittelverdiener bei der Steuer entlasten. Gibt es weitere Gemeinsamkeiten? Und wo liegen die Unterschiede? Ein Überblick.

Sie stellen etwas in Aussicht: Die Parteien von links bis rechts beginnen, ihre steuerpolitischen Pläne für das Wahlkampfjahr 2017 zurechtzuzimmern. Mit der Nachricht über den stattlichen staatlichen Halbjahresüberschuss von 18,5 Milliarden Euro kam nun Schwung in die Debatte. Allenthalben ist von Steuererleichterungen die Rede.

Freilich ist der Überschuss bei Bund, Ländern und Kommunen (also ohne Sozialversicherungen) mit 12,6 Milliarden Euro nicht so exorbitant, wie man auf den ersten Blick meinen könnte. Es sind etwa 3,5 Prozent der gesamten Steuereinnahmen, aus denen sich diese drei staatlichen Ebenen weitgehend finanzieren.

Die Verteilung ist dabei nicht unwichtig: Der Bund hat mit 9,7 Milliarden Euro Überschuss offenkundig mehr Spielraum als die Länder, die nur 0,4 Milliarden Euro mehr einnahmen als sie ausgaben. Und es gibt Konkurrenz zur Steuersenkung: Haushaltsüberschüsse könnten auch genutzt werden, um Investitionen zu erhöhen (das fordert etwa der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, der Bremer Bürgermeister Carsten Sieling) oder um Altschulden zu tilgen (als „praktizierte Generationengerechtigkeit“, wie Unions-Fraktionsvize Ralph Brinkhaus sagt).

Was plant die Union?

Die Kanzlerin ist grundsätzlich für Entlastungen: "Ich bin sehr froh, dass nahezu alle Parteien sich damit beschäftigen, wie man in der nächsten Legislaturperiode gegebenenfalls auch Steuerentlastungen ins Auge fassen kann. Und zwar gerade für die Mitte der Gesellschaft“, sagte Angela Merkel im ARD-Sommerinterview. Allerdings fügte sie hinzu, es stünden noch Etatverhandlungen an, man wolle weiterhin einen ausgeglichenen Haushalt und keine neuen Schulden.

Die CDU-Spitze steigert aber schon mal die Summe, um die es bei Erleichterungen gehen soll. Hatte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble unlängst noch einen Spielraum von zwölf Milliarden Euro nach 2017 ausgemacht, erhöhte Unions-Fraktionschef Volker Kauder am Sonntag auf 15 Milliarden. Es sollten davon vor allem Familien und Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen profitieren – das will auch die CSU, deren Konzept auf eine Entlastung um zehn Milliarden Euro hinausläuft.

Ginge es nach der Mittelstandsvereinigung der Union (MIT), läge die Entlastung sogar bei 30 Milliarden. Die MIT-Kernforderungen: Verdopplung des Werbekostenfreibetrags auf 2000 Euro und Senkung des Eingangssteuersatzes bei der Einkommensteuer von 24 auf 20 Prozent samt Verschiebung des Spitzensteuersatzes nach oben (er soll ab 60.000 Euro wirken statt wie bisher ab 53.666 Euro). Zudem wird ein höherer Kinderfreibetrag gefordert, was ein höheres Kindergeld nach sich zieht. Insgesamt würde das Besserverdiener stärker entlasten als Geringverdiener.

In der Bundestagsfraktion haben die MIT-Vorschläge aber keine Chance. „Ich rate mit Blick auf einige sehr teure Konzepte zur Vorsicht: Wir haben haushalterisch noch einige zusätzliche Aufgaben zu bewältigen, insbesondere auf den Feldern Integration, innere und äußere Sicherheit sowie der Finanzierung der Sozialversicherungssysteme“, sagte Brinkhaus dem Tagesspiegel. „Wenn man etwas tun will, dann ganz gezielt bei Normalverdiener-Familien. Nachdem die Politik sich in den letzten Jahren sehr stark um die sicherlich wichtigen Randgruppen gekümmert hat, muss die Devise jetzt heißen: die Mitte in die Mitte.“

Brinkhaus will auch beim Immobilienerwerb etwas tun. „Normale Familien können es sich heute kaum noch leisten, Wohneigentum zu erwerben. Das widerspricht dem alten Versprechen der Bundesrepublik, dass jeder, der sich anstrengt, sich bis zum Ende seines Berufslebens eine abbezahlte Immobilie erarbeiten kann. Hier sollte man junge Familien sehr direkt und zielgenau fördern.“ Die CSU regte hier eine zehnjährige Förderung in Höhe von 1200 Euro im Jahr für Familien an. Ein Ansatzpunkt könnte auch die Grunderwerbsteuer sein, die allerdings allein den Ländern zusteht.

Zudem wird es in einem Steuerprogramm der Union auch um den Solidaritätszuschlag gehen. „Wenn der Solidarpakt 2019 ausläuft, erwarten die Bürgerinnen und Bürger eine Ansage auch zum Solidaritätszuschlag", sagte Brinkhaus. „Wir müssen daher in der kommenden Wahlperiode zumindest in den Abbau des Soli einsteigen.“ Steuererhöhungen soll es, wie in dieser Wahlperiode, auch nach 2017 nicht geben. Allerdings hat Schäuble die Abschaffung der Abgeltungsteuer zum Thema gemacht hat (bei Kapitalerträgen würde dann wieder der persönliche Steuersatz gelten). Eine Vermögensteuer lehnt die Union ab, ob sie Änderungen an der gerade reformierten Erbschaftsteuer mitmacht, etwa einen niedrigeren fixen Steuersatz bei weniger Ausnahmen, ist unklar.

Welche Vorstellungen hat die SPD?

Das Steuerprogramm der Sozialdemokraten dürfte ambitionierter ausfallen. Fraktionschef Thomas Oppermann kündigte an, man müsse das „Steuersystem neu justieren“. Zwar warnte Parteichef Sigmar Gabriel am Sonntag vor „gigantischen Steuersenkungsversprechen“ und plädierte für mehr Investitionen in Bildung und Infrastruktur, aber auch die SPD will die Klein- und Mittelverdiener entlasten. Wobei Oppermann Steuersenkungen, von denen auch Spitzenverdiener profitieren, ablehnt.

Das Entlastungsvolumen, das die SPD anstrebt, ist noch unklar, aber der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil spricht von einem „deutlich zweistelligen Milliardenbetrag“. Der Finanzpolitiker Lothar Binding will Entlastungen bis hin zu Einkommen von 50.000 Euro im Jahr, wobei auch er vorschlägt, den Spitzensteuersatz weiter oben greifen zu lassen als bisher. Zugleich solle der Spitzensteuersatz, derzeit 42 Prozent, erhöht werden. Gutverdiener würden damit die Erleichterungen weiter unten finanzieren.

Parteivize Torsten Schäfer-Gümbel hat mit Blick auf die Ärmeren, die wenig bis gar keine Einkommensteuer zahlen, eine Entlastung bei den Sozialbeiträgen ins Spiel gebracht – ein Weg, für den auch Gabriel plädiert. Das Minus in den Sozialkassen müsste dann freilich durch Steuerzuschüsse ausgeglichen werden. Binding plädierte auch dafür, ungerechtfertigte Ausnahmen bei der Erbschaftstreuer abzuschaffen. Das Ende der Abgeltungsteuer (sie verringert Kapitalerträge pauschal um 25 Prozent) gehört schon länger zum SPD-Programm.

Bleibt die Frage, wie die SPD mit dem „Soli“ umgeht. Denkbar wär eine Lösung, die schon den Verhandlungen über den Finanzausgleich eine Rolle spielte. Demnach würde der Zuschlag in die Einkommensteuer integriert. Damit würde er zwar quasi verewigt, aber gegen ein schrittweises Absenken dürfte auch die SPD wenig einwenden. Vor allem aber wäre mit einem solchen Schritt der absehbare Widerstand im Bundesrat gegen Steuersenkungen geringer. Die Integrationslösung würde nämlich die Länder an den „Soli“-Einnahmen beteiligen; bislang fließen sie allein dem Bund zu.

 Wie sieht das Konzept der Grünen aus?

Die Grünen haben bisher die konkretesten Vorstellungen vorgelegt – sich allerdings auch einen offenen Streit geliefert über die Frage, wie stark und in welcher Form die Reichen herangenommen werden sollen. Während der linke Parteiflügel eine Vermögensbesteuerung möchte (Jürgen Trittins „Superreichensteuer“), plädieren die Parteipragmatiker um Winfried Kretschmann und Cem Özdemir für eine reformierte Erbschaftsteuer. Unstrittig ist, dass das Ehegattensplitting durch eine Individualbesteuerung der Partner ersetzt werden soll, unklar ist nur der Weg dahin.

Bei der Einkommensteuer soll unten und in der Mitte durch einen höheren Grundfreibetrag Entlastung geschaffen werden, wobei zur Gegenfinanzierung ein höherer Spitzensteuersatz ab einem Single-Einkommen von 100.000 Euro greifen soll. Die Abgeltungsteuer wollen die Grünen abschaffen, den Solidaritätszuschlag erhalten – er soll einer neuen bundesweiten Regionalförderung dienen. Zudem wollen die Grünen  ihre ökologische Finanzreform fortführen.

Größere Steuersenkungen lehnte Parteichefin Simone Peter jetzt in der "Süddeutschen Zeitung" ab. Deutschland habe "einen gigantischen Schuldenberg der öffentlichen Hand und einen riesigen Investitionsstau" zu bewältigen, sagte sie. "Die vermehrten Rufe aus der Union nach Steuersenkungen lassen an deren Finanzkompetenz zweifeln." Peter forderte, Steuermehreinnahmen primär für Investitionen in Umwelt, Bildung und Infrastruktur zu nutzen.

Was wollen die Linken?

Im Programm der Linken wird eine stärkere Belastung der Reichen gefordert – in Form einer fünfprozentigen Abgabe auf alle Millionenvermögen. „Hohe Vermögen, entsprechende Erbschaften, die völlig unakzeptablen Sonderbedingungen bei der Vererbung von Firmenvermögen und fragwürdige Erbschaftsteuersätze sind Bausteine einer dauerhaften Privilegierung der Reichen“, sagt der Finanzpolitiker Axel Troost. Daher sollte eine Linkskoalition nach 2017 nicht allein bei einer Vermögensabgabe stehen bleiben.

Zudem müsse die Besteuerung der Unternehmen reformiert werden mit dem Ziel, zu höheren Einkünften zu kommen. Die Abgeltungsteuer will auch die Linke abschaffen. Aus resultierenden Mehreinnahmen könnten dann Entlastungen bei kleinen und mittleren Einkommen und höhere Investitionen finanziert werden.

 Ist die FDP noch Steuersenkungspartei?

FDP-Chef Christian Lindner plädiert weiterhin für eine Entlastung der Steuerzahler, vor allem in der Mitte. Mögliches Volumen: 20 Milliarden Euro, dazu noch die Abschaffung des „Soli“. Auf die Mittelständler der Union, deren Vorstellungen denen der Freidemokraten durchaus nahe kommen, ist er jedoch nicht gut zu sprechen. „Die Helden vom Wirtschaftsflügel der Union“ hätten die FDP in der gemeinsamen Regierungszeit zwischen 2009 und 2013 „am langen Arm verhungern lassen, als wir uns für Steuererleichterungen in der Mitte oder für ein transparenteres Steuerrecht stark gemacht haben“, klagte Lindner im Tagesspiegel-Interview.

Die aktuellen Vorschläge der Union nennt er „ehrgeizlose Pläne“. Deutlichere Entlastungen seien nötig, denn das „Aufstiegsversprechen der sozialen Marktwirtschaft wird gebrochen, wenn eine junge Familie mit zwei berufstätigen Partnern nicht in der Lage ist, Eigentum zu erwerben – weil Steuern und Sozialabgaben mit mehr als 40 Prozent zu Buche schlagen und die kalte Progression einen wachsenden Teil der Gehaltserhöhungen frisst". Die Grunderwerbsteuer sei eine zusätzliche Belastung. "Warum sollten Leute mit relativ kleinem Einkommen drei komplette Bruttogehälter an den Fiskus überweisen, wenn sie erstmals Wohneigentum erwerben? Das erschließt sich mir nicht." Er plädiert hier für einen Freibetrag.

Hat auch die AfD Steuerpläne?

Die steuerpolitischen Vorstellungen der AfD lesen sich wie eine Mischung aus alten FDP-Ideen und konservativen Positionen. Das Steuerrecht soll drastisch vereinfacht, Mittel- und Geringverdiener sollten entlastet werden, vor allem Familien. Bei der Einkommenssteuer plädiert die AfD für einen Stufentarif mit höheren Freibeträgen. Das Ehegattensplitting soll durch ein Familiensplitting ersetzt, die Erbschaftsteuer soll abgeschafft werden. Zudem möchte die AfD eine Art Einnahmenbremse im Grundgesetz für Steuern und Sozialabgaben.

Kommt eine große Steuerreform?

Entlastungen unten und  in der Mitte – darauf kann man sich wohl einstellen, egal welche Koalition im Herbst 2017 ans Ruder kommt. Auch bei der Abgeltungsteuer könnte es in allen Konstellationen Bewegung geben. Und eine Linkskoalition dürfte sich auf eine höhere Besteuerung von Wohlhabenden verständigen. Aber ob eine echte „Neujustierung“ des Steuersystems gelingt, ist fraglich.

Einer, den das ärgert, ist Ex-Bundesfinanzminister Hans Eichel. Er rügt die Verkürzung der Steuerdebatte auf Entlastungen bei der Einkommensteuer und fordert einen breiteren Ansatz. Der SPD-Politiker engagiert sich mittlerweile als Beiratsvorsitzender im Forum ökologisch-soziale Marktwirtschaft, eine überparteiliche Denkfabrik. Seiner Ansicht nach ist das deutsche Steuersystem in einer Schieflage. Der Staat finanziere sich heute zu fast zwei Dritteln aus Steuern und Abgaben auf den Faktor Arbeit. Das sei zu viel. Dagegen würden Umweltbelastungen und Ressourcenverbrauch viel zu gering besteuert. Umweltsteuern trügen nur noch 4,6 Prozent zum Steueraufkommen bei, zu rot-grünen Zeiten waren es mal 6,5 Prozent.

Die EU rät zu einem Anteil von zehn Prozent. Einer seiner Vorschläge lautet, sämtliche Steuersubventionen im Luftverkehr in Höhe von zehn Milliarden Euro zu streichen und die Luftverkehrssteuer zu erhöhen. Zudem sollten die festen Steuersätze auf Benzin, Heizöl und Strom an die Inflation gekoppelt werden. Mit den Einnahmen daraus, so Eichel, könne man – analog zur Einkommensteuer - einen Freibetrag auch bei den Sozialabgaben einführen, was vor allem Geringverdiener entlaste. Ziel müsse ein gerechteres Steuer- und Abgabensystem sein, das gleichzeitig einen Beitrag für mehr Umweltschutz leistet, sagt Eichel.

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