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Vor dem Parlament in Kiew kam es nach dem Votum zu schweren Ausschreitungen.

© AFP

Der Konflikt in der Ukraine: Zerreißprobe in Kiew

Im Ukraine-Konflikt halten die Europäer an einem Abkommen fest, das gescheitert ist. Die Ukraine wird zu einer Verfassungsänderung gedrängt, die das Land in eine Zerreißprobe führen kann. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Claudia von Salzen

Lange war die Ukraine aus dem Blickfeld der internationalen Gemeinschaft verschwunden. Nun machen wieder Bilder von Gewalt mitten in Kiew Schlagzeilen. Der Protest richtete sich gegen die Verfassungsreform, die zuvor in erster Lesung verabschiedet worden war. Sie gewährt den Gebieten in der Ostukraine, die mit Unterstützung Russlands von Separatisten kontrolliert werden, einen Sonderstatus. Damit setzt die Ukraine einen Punkt des Minsker Friedensplans um.

Wer den Konflikt allein als Aufflammen ultrarechter Kräfte sieht, die das Land nicht in den Griff bekommt, macht es sich zu einfach. Der Sonderstatus für die Separatistengebiete wird nicht nur von den Nationalisten abgelehnt, die gewaltsam protestierten. Der Streit um die Verfassungsreform treibt einen tiefen Riss in die Regierungskoalition. Es ist ungewiss, ob der Entwurf am Ende die nötige Mehrheit finden wird. Sollte die Reform scheitern, wäre dies ein Rückschlag für Präsident Petro Poroschenko.

Fragwürdiger Kurs der USA und der Europäer

Die Ereignisse in Kiew werfen auch ein Schlaglicht auf den fragwürdigen Kurs der USA und der Europäer im Ukraine-Konflikt. Denn westliche Diplomaten hatten die Führung in Kiew gedrängt, bereits jetzt den Sonderstatus für die Separatistengebiete in der Verfassung zu verankern. Bei einer ersten Abstimmung im Parlament war die US-Diplomatin Victoria Nuland selbst anwesend. Auch die Bundesregierung ermahnte die Ukraine, den Minsker Friedensplan schnell vollständig umzusetzen.

Bis heute halten Europas Regierungen damit an einer Vereinbarung fest, die gescheitert ist. Laut sagen möchte das kein westlicher Diplomat – schließlich würde dies die Ratlosigkeit der europäischen Politik offenbaren. Dabei ist nach einem halben Jahr nicht einmal der wichtigste Punkt des Abkommens umgesetzt: Die Waffenruhe in der Ostukraine wird Tag für Tag gebrochen. Schwere Waffen sind noch immer im Einsatz. Dass nun ein neuer Anlauf für eine Waffenruhe gelingt, ist wenig wahrscheinlich. Die Separatisten halten auch andere Punkte des Abkommens nicht ein: Eine Beteiligung der von ihnen kontrollierten Regionen an lokalen Wahlen in der Ukraine lehnen sie ab, stattdessen planen sie eine eigene Abstimmung.

Nachhaltiger Frieden oder "eingefrorener Konflikt"?

Um die Umsetzung der Minsker Vereinbarung zu erreichen, haben die USA und die EU auf die Seite Druck ausgeübt, auf die sich relativ einfach Druck ausüben lässt: die Ukraine. Kiew hatte dafür plädiert, den Fahrplan von Minsk Punkt für Punkt umzusetzen: zunächst das Ende der Kämpfe, dann den Waffenabzug – und erst danach die politischen Forderungen. Doch nun wird die Ukraine zu einer Verfassungsänderung gedrängt, die das Land in eine Zerreißprobe führen kann. Wie soll die Regierung auch begründen, warum Minsk nun einseitig, ohne Zugeständnis der anderen Seite, umgesetzt werden soll?

Wer einen nachhaltigen Frieden will und nicht nur die trügerische Ruhe, die ein weiterer „eingefrorener Konflikt“ mit sich bringt, muss Russland zum Handeln drängen. Denn der Krieg in der Ostukraine ist eben kein interner Konflikt. Ohne Moskaus Eingreifen gäbe es diesen Krieg nicht. Doch die Friedensbemühungen der Europäer und der USA gehen bisher vor allem zulasten der Ukraine.

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