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Anonyme Bewerbung: Der namenlose Anwärter

Zwei deutsche Ministerien wollen Stellen künftig mit Hilfe anonymisierter Bewerbungen besetzen. Damit soll die Chancengleichheit verbessert werden.

Berlin - Das Bundesfamilienministerium und das nordrhein-westfälische Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales planen, Hinweise auf Alter, Geschlecht, Familie und ethnische Wurzeln in Bewerbungsunterlagen möglichst unkenntlich zu machen. Ausschließlich die Qualifikation einer Bewerberin oder eines Bewerbers sollen daraus hervorgehen. Dies soll die Bewerbungschancen für Menschen erhöhen, die normalerweise deutlich verminderte Chancen haben, überhaupt zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden: über 50-Jährige zum Beispiel, Eltern kleiner Kinder oder Migranten.

Ein Sprecher des Familienministeriums bestätigte auf Anfrage des Tagesspiegels das Engagement seines Hauses für eine entsprechende Initiative der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS). Auch die Sprecherin des neuen nordrhein-westfälischen Ministers Guntram Schneider (SPD) sagte, das Thema stehe „auf der Agenda des Ministers ganz oben“. Man wolle den Praxistest zudem nicht aufs eigene Haus und nachgeordnete Landesbehörden beschränken, sondern möglichst die gesamte Landesregierung einbinden. Dies brauche aber „noch etwas Zeit“.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) lässt derzeit Erfahrungen wissenschaftlich untersuchen, die andere Länder mit dieser Form der Bewerbung gesammelt haben. In den USA sind teilanonymisierte Bewerbungen bereits Standard – dort sind allerdings die Namen der Bewerber lesbar –, auch in der Schweiz und Frankreich werden sie erprobt. Für einen Praxistest in Deutschland hat die ADS bereits fünf große Unternehmen gewonnen, die Ende August an die Öffentlichkeit gehen wollen. Der Versuch soll vom Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit wissenschaftlich begleitet werden.

Dass die Leistungsgesellschaft oft schon bei der Stellenbesetzung ein Mythos ist, ist belegbar: Die Universität Konstanz hat in einer Studie zur Arbeitsplatzdiskriminierung von Türken festgestellt, dass die Chancen von Stellenbewerbern mit türkischen Namen, zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden, in Deutschland um 14 Prozent geringer sind als bei Kandidaten mit deutschen Namen. Der Verband der türkischen Akademiker veröffentlichte eine Untersuchung, derzufolge viele Uniabsolventen und andere Hochqualifizierte mit türkischen Wurzeln an Auswanderung denken, weil sie ihre Berufschancen allein durch ihre ethnische Herkunft gemindert sehen. Bei der ADS gehen nach den Worten ihrer Leiterin Christine Lüders auch Beschwerden von Müttern ein, die die Zeile „verheiratet, zwei Kinder“ im Lebenslauf mit einer Absage büßen. Verschweigen sie die Kinder, werden sie eingeladen.

Dass eine anonyme Bewerbung nicht absolute Leistungsgerechtigkeit herstellt und beim Gespräch wieder Sympathie, Antipathie, Vorurteile oder die soziale Ähnlichkeit des oder der Kandidatin entscheiden, sieht auch Lüders – aber sie sieht es entspannt: „Zunächst muss jeder Bewerber sich überhaupt beweisen können.“ Und natürlich gäben bestimmte Qualifikationen auch Hinweise auf das Alter eines Bewerbers. „Aber es ist nicht zu erkennen, ob er 45, 50 oder 55 Jahre alt ist. Für die Frage ,einladen oder nicht’ können schon fünf Jahre entscheidend sein.“

Wie das anonyme Bewerbungsverfahren praktisch aussehen soll, wollen die Beteiligten am 24. August diskutieren. Dann treffen sich die beteiligten Unternehmen und Behörden mit den Bonner Forschern auf Einladung der ADS am Runden Tisch. Über den Widerstand der Wirtschaftsverbände gegen das Projekt zeigt Lüders sich verwundert: Den habe es bereits gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gegeben, man habe ein bürokratisches Ungeheuer an die Wand gemalt und eine Klagewelle beschworen. Doch die blieb aus. „Seit vier Jahren läuft die Praxis des AGG reibungslos“, sagt Lüders.

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