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Seit Tagen forderten tausende Ägypter Präsidenten Mursi auf, von seinem Amt zurückzutreten. Am Mittwochabend wurde Mursi schließlich vom Militär abgesetzt. Auf Tahrir-Platz in Kairo wurde gejubelt.

© Reuters

Update

Der Präsident wurde gestürzt: Armee übernimmt Macht in Ägypten

Die Revolution beginnt von vorne: Nach einem Jahr im Amt ist der ägyptische Präsident Mohamed Mursi am Mittwochabend vom Militär in Kairo gestürzt worden. Wie geht es für das zerrüttete Land nun weiter?

Der Präsident wurde gestürzt. Das Militär hat vorerst die Macht in Ägypten übernommen. Viele tausend Gegner des geschassten ägyptischen Präsidenten Mohamed Mursi feierten in der Nacht zu Donnerstag auf den Straßen. Mit Massenprotesten hatten sie zuvor die Abdankung des Staatschefs gefordert. Dessen Anhänger sind nun wütend und wild entschlossen, den Putsch des Militärs nicht hinzunehmen: Ägypten ist in diesem Moment gespaltener den je. Noch in der Nacht gab es vierzehn Tote, Haftbefehle gegen 300 Mitglieder der Muslimbruderschaft ausgestellt.

Wie soll es in Ägypten weitergehen?

Nach dem Fahrplan, den die Militärführung mit ihrem Ultimatum angekündigt und am Mittwoch in der staatlichen Zeitung „Al Ahram“ veröffentlicht hatte, soll die umstrittene Verfassung außer Kraft gesetzt und das Shura-Parlament aufgelöst werden, in dem die Islamisten eine Zweidrittelmehrheit haben. Nach den bisher bekannt gewordenen Plänen der Armee soll ein Präsidialrat, dem neben dem Präsidenten des Verfassungsgerichts ein Interim-Premier und ein General angehören sollen, zunächst die Geschicke der Nation führen. Die umstrittene Verfassung soll von Rechtsexperten überarbeitet und innerhalb eines Jahres dem Volk erneut zum Referendum vorgelegt werden.

Wie lief der Machtwechsel in Kairo ab?

Mursi hatte in der Nacht zu Mittwoch das 48-Stunden-Ultimatum der Armee zurückgewiesen und in einer aufgewühlt-kämpferischen Rede einen Rücktritt erneut kategorisch abgelehnt. Er sei bereit, sein Leben für die Legitimität seiner Wahl zu opfern, rief der Präsident aus und erklärte, es werde zu Chaos und Blutvergießen kommen, sollte er mit Gewalt abgesetzt werden. An die Adresse der Armee erklärte er, er weise jedes Diktat zurück – egal ob national oder international. Der Opposition bot er als politischen Kompromiss an, eine neue Regierung zu bilden, in den nächsten sechs Monaten Parlamentswahlen auszuschreiben und eine Kommission zu etablieren, die umstrittene Passagen der Verfassung überarbeiten soll. In vielen Teilen Kairos zogen vor Ablauf des Ultimatums gepanzerte Fahrzeuge auf. Um 21.15 Uhr gab al Sisi schließlich die Absetzung des Präsidenten bekannt. Unmittelbar nach der Entmachtung sind Fernsehsender der Islamisten offenbar abgeschaltet worden. Beim Sender „Misr25“ der Muslimbruderschaft wurde die Ausstrahlung schlagartig unterbrochen, berichteten Augenzeugen am Mittwoch. Auch der Islamistensender „Al-Hafes“ und der Salafistensender „Al-Nas“ seien betroffen, berichtete die staatliche Zeitung „Al-Ahram“ in ihrer Online-Ausgabe.

Was passiert nun mit Mursi?

Der abgesetzte Präsident Mursi soll nach Angaben aus seiner Umgebung zuvor ins Verteidigungsministerium gebracht worden sein. Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Mena verhängten die Behörden eine Ausreiseverbot über den Staatschef, ebenso wie über den Chef der Muslimbruderschaft, Mohamed Badie, sowie den Vize der Organisation, Khairat al Shater. Mursi wehrt sich allerdings gegen seine Absetzung durch das Militär. Auf einer der offiziellen Twitterseiten des Staatsoberhauptes hieß es am Mittwochabend, es handele sich hierbei um einen „Putsch“. Dieses Vorgehen werde von allen freien Menschen, die für ein ziviles, demokratisches Ägypten gekämpft hätten, abgelehnt. Zugleich rief er die Ägypter auf, friedlich zu bleiben und Blutvergießen zu vermeiden.

Wie reagieren Mursis Anhänger?

Im Lager der Mursi-Befürworter, die sich zu Zehntausenden in den Kairoer Stadtteilen Nasr City und Giza organisiert hatten, wurde das TV-Kommuniqué mit Empörung und Protest aufgenommen. Ein Berater von Mursi warf der Armee vor, einen Putsch gegen die gewählte Regierung zu unternehmen. Hunderttausende hätten sich versammelt, um Demokratie und Präsidentschaft zu unterstützen, schrieb Essam al Haddad auf seiner Facebook-Seite. „Um sie wegzubewegen, wird Gewalt nötig sein.“ Als die Armee am Abend um beide Pro-Mursi-Versammlungsorte gepanzerte Fahrzeuge postierte, kam es zu erregten Wortwechseln zwischen Offizieren und Demonstranten. Mehrmals schossen Soldaten in die Luft, um die Menge in Schach zu halten.

Wie ist die Sicherheitslage im Land?

In der Nacht zu Mittwoch war es in zahlreichen Städten Ägypten zu Krawallen und Feuergefechten zwischen beiden Lagern gekommen. Die schwersten Übergriffe gab es auf eine Kundgebung der Muslimbruderschaft vor der Kairoer Universität im Stadtteil Dokki. Dort eröffneten bewaffnete Banden das Feuer auf die Menge, töteten 18 Demonstranten und verletzten mehr als 200. Das Gelände grenzt an den Kairoer Zoo und den botanischen Garten, der den bewaffneten Angreifern in der Dunkelheit perfekte Deckung gab. Nach Medienberichten stoppten Bewaffnete am Mittwoch im Stadtteil Giza einen Minibus und drohten, jeden zu erschießen, der einen Bart trage. Tagsüber waren die Straßen in Kairo und Alexandria leer, viele Menschen blieben aus Angst vor weiteren Unruhen und Gewalt zuhause. Alle Banken schlossen bereits am Mittag. Mindestens 91 Frauen wurden nach Angaben von „Human Rights Watch“ und lokalen Selbsthilfegruppen am Rande der Kundgebungen von Mursi-Gegnern auf dem Tahrir-Platz vergewaltigt oder sexuell belästigt. Allein am Sonntag waren es 46. (mit dpa)

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