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Ein Schild fordert die Freilassung von Mesale Tolu.

© dpa/Stefan Puchner

Update

Deutsch-türkische Beziehungen: Deutsche Mesale Tolu: "Ich fordere meinen Freispruch"

Die deutsche Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu steht unter anderem wegen Terrorpropaganda in der Türkei vor Gericht. Ihre Anwältin glaubt nicht an ein faires Verfahren.

Die in der Türkei inhaftierte deutsche Journalistin Mesale Tolu hat vor dem Gericht in Silivri bei Istanbul die gegen sie erhobenen Terrorvorwürfe zurückgewiesen. „Ich fordere meine Freilassung und meinen Freispruch“, sagte Tolu am Montag beim ersten Verhandlungstag. „Ich habe keine der genannten Straftaten begangen und habe keine Verbindung zu illegalen Organisationen.“ Die 32-jährige Tolu gehört zu 18 Angeklagten, denen Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in der linksextremen MLKP vorgeworfen werden. Der Deutschen drohen nach Angaben ihrer Anwältin Kader Tonc bis zu 20 Jahre Haft.

Tolu kritisierte, dass sie seit mehr als fünf Monaten ohne Urteil in Istanbul in Untersuchungshaft gehalten werde. Auch ihr Ehemann sei in Untersuchungshaft. „Deswegen lebt mein Sohn, der eigentlich in den Kindergarten gehen müsste, seit fünf Monaten mit mir im Gefängnis“, sagte sie. „Aus diesem Grund ist die Untersuchungshaft nicht nur für mich, sondern auch für meine Familie und für meinen Sohn zur Bestrafung geworden.“ Der zweijährige Sohn Tolus ist mit der Mutter im Frauengefängnis im Istanbuler Stadtteil Bakirköy untergebracht.

Die aus Ulm stammende Deutsche kritisierte die Umstände ihrer Festnahme am 30. April, als Anti-Terror-Polizisten ihre Wohnung in Istanbul stürmten. „Die Spezialeinheit der Polizei hat nicht nur die Waffe auf meinen Sohn gerichtet, sondern sie haben mich auch noch vor den Augen meines Kindes gewaltsam festgenommen.“

Nach Angaben von Tolus Anwältin Kader Tonc drohen ihrer Mandantin in dem Verfahren vor dem Gericht in Silivri westlich von Istanbul bis zu 20 Jahre Haft. Die Bundesregierung fordert die Freilassung Tolus und von mindestens zehn weiteren Deutschen, die in der Türkei derzeit aus politischen Gründen inhaftiert sind. Namentlich bekannt von diesen mindestens elf Bundesbürgern sind Tolu, der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel und der Menschenrechtler Peter Steudtner.

Eine Mitarbeiterin des deutschen Generalkonsulats in Istanbul beobachte Tolus Prozess, erklärte das Auswärtige Amt am Mittwoch. Deutsche Diplomaten stünden "auf allen Ebenen in ständigem Kontakt mit den Anwälten und natürlich mit der türkischen Regierung, um Verbesserungen zu erreichen", sagte eine Sprecherin. Am Montag habe ein Mitarbeiter die Inhaftierte zuletzt besucht. "Es ging ihr den Umständen entsprechend gut", sagte die Sprecherin. Tolu habe dem Prozess "gefasst" entgegengesehen.

Tolu-Anwältin Tonc sagte der Zeitung „Neues Deutschland“ kurz vor Prozessbeginn, sie glaube nicht an ein faires Verfahren. „Man möchte sich an der politischen Opposition und der Presse mit den zu fällenden Urteilen rächen.“ Schon die Inhaftierung Tolus sei „aus politischen Gründen“ erfolgt.

"Willkürlich Verhaftete"

Die Vize-Vorsitzende der Linke-Fraktion im Bundestag, Heike Hänsel, kündigte an, an dem Prozess gegen Tolu als Beobachterin teilzunehmen. „Mesale Tolu - genauso wie Deniz Yücel, Peter Steudtner sowie zahlreiche weitere willkürlich Verhaftete - ist nichts anderes als eine Geisel von Präsident Recep Tayyip Erdogan“, sagte Hänsel. „Deshalb ist kein rechtsstaatliches Verfahren zu erwarten.“

Ali Riza Tolu, der Vater von Mesale Tolu (2.v.r), zeigt vor dem Gerichtsgebäude in Silivri das Victory-Zeichen.
Ali Riza Tolu, der Vater von Mesale Tolu (2.v.r), zeigt vor dem Gerichtsgebäude in Silivri das Victory-Zeichen.

© Can Merey/dpa

Tolus Vater Ali Riza Tolu sagte der Deutschen Presse-Agentur vor Prozessbeginn, er sei „enttäuscht“ von der Bundesregierung. Im Wahlkampf sei viel geredet worden, aber nun befinde sich diese im „Todesschlaf“. Die Vorwürfe gegen seine Tochter bezeichnete der 58-Jährige als „nicht wahr“ und „leer“. Er hoffe dennoch, dass seine Tochter aus der Untersuchungshaft entlassen wird. Tolu besitzt nur die deutsche Staatsbürgerschaft. Sie wurde in Ulm geboren und hat ihren Hauptwohnsitz in Neu-Ulm.

Tolu arbeitete als Journalistin und Übersetzerin für die linke Nachrichtenagentur Etha. Deren Internetseite ist in der Türkei zwar gesperrt. Etha ist bislang aber - anders als zahlreiche andere regierungskritische Medien in der Türkei - nicht verboten worden.

Tolu war am 30. April festgenommen worden, als Polizisten einer Anti-Terror-Einheit ihre Wohnung stürmten. Ihr Ehemann Suat Corlu war bereits zuvor ebenfalls unter Terrorverdacht inhaftiert worden. Er gehört nicht zu den 18 Angeklagten dieses Prozesses. Mesale Tolu hat ihren zweijährigen Sohn bei sich im Frauengefängnis im Istanbuler Stadtteil Bakirköy.

"Geisel Erdogans"

In der Anklageschrift - die der dpa in Teilen vorliegt - wird Tolu die Teilnahme an vier Veranstaltungen vorgeworfen, bei einer davon soll sie ein Banner einer MLKP-Splittergruppe getragen haben. In ihrer Wohnung soll außerdem Propagandamaterial gefunden worden sein.

Der türkische Journalist Can Dündar bezeichnete Tolu gegenüber der „Bild“ als „Geisel“ von Präsident Erdogan. „Wahrscheinlich, um Stärke zu demonstrieren, oder aber, um sie für einen möglichen Austausch einzusetzen“, sagte er. Tolu und die anderen Journalisten und Menschenrechtler seien nur ihrer Arbeit nachgegangen. (dpa)

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