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Flüchtlinge am Bahnhof in Schönefeld (Brandenburg). In dem aus Salzburg kommenden Sonderzug waren am Samstag rund 400 Flüchtlinge.

© Patrick Pleul/dpa

Deutschland und die Zuwanderer: Flüchtlinge machen eigenen sozialen Status sichtbar

An der Flüchtlingsfrage werden die neuen Bruchlinien in der deutschen Gesellschaft deutlich. Nicht Einkommen, Vermögen und sozialer Status entscheiden über die Haltung zu Flüchtlingen, sondern die Sicherheit im eigenen Leben. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ursula Weidenfeld

Die einen stehen immer noch mit Plüschtieren am Bahnhof und freuen sich über jeden Neuankömmling. Die anderen werden bald die AfD wählen. Wieder andere gehen zu den Montagsdemonstrationen in Dresden und Leipzig und rufen „Wir sind das Pack“. An der Flüchtlingsfrage werden die neuen Bruchlinien in der deutschen Gesellschaft deutlich. Nicht Einkommen, Vermögen und formaler sozialer Status entscheiden über die Haltung zu Flüchtlingen, sondern die Sicherheit im eigenen Leben.

Die gerät bisweilen unvermutet aus den Fugen, hat der Kasseler Soziologe Heinz Bude festgestellt: Beim Berliner Grundschullehrer etwa, dessen Charlottenburger Wohnung verkauft wird. Auf einmal merkt er, dass er – Beamter, Akademiker, Familienvater – offenbar seit Jahren weit über seinem Niveau lebt. Kaufen könnte er die eigene Wohnung nämlich nie. Obwohl sich an seinem Einkommen, seinem Beruf und seiner Familie gar nichts ändert, verändert sich sein Lebensgefühl fundamental. Oder der Anwalt mit eigener Kanzlei in Freiburg: Jahrelang hat er vor sich hingearbeitet, Scheidungen, Arbeitsgerichtsverfahren, Nachbarschaftskonflikte begleitet. Doch nach Abzug von Büromiete und Kanzleikosten liegt sein Einkommen knapp über Hartz-IV-Niveau. Wie tiefgreifend solche Lebenserfahrungen sind, zeigt die Wiedervereinigung. Heute noch denken viele Ostdeutsche verbittert an die Wende und an das Ende der DDR-Gewissheiten. Sie sind die Ersten, die ihre Probleme mit der Flüchtlingssituation laut zum Ausdruck bringen.

Auf der anderen Seite: deutsche Gelassenheit

Auf der anderen Seite lebt die neue deutsche Gelassenheit. Sie ist bei dem Rechtsanwalt und dem Grundschullehrer zu Hause, die sich nach dem Studium für ein Leben auf dem Land entschieden haben. Oder bei dem Autofacharbeiter im Süddeutschen: kein Abitur, kein Studium, aber Jobgarantie, Eigenheim und ein üppiges Tarifeinkommen. Der Malermeister mit Gesellen und Lehrlingen in Dortmund gehört auch dazu. Sie alle sind heute die Stützen der Gesellschaft, deren Großzügigkeit so verblüffend ist. Dabei verändern die Flüchtlinge den sozialen Status der Einheimischen erst einmal nicht, sie machen ihn aber sichtbar.

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