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Islam: Demut vor der Scharia

Jost Müller-Neuhof über zwei Juristen und ein Buch zum Recht im Islam

Vor zehn Jahren hätte es keinen Menschen interessiert, wenn ein Rechtsprofessor seinen 600-Seiten-Wälzer vorstellt. Heute mietet ihm sein Verlag einen Saal in einem feinen Friedrichstraßen-Quartier, viele kommen, gerade junge Menschen, man bittet eine streitbare Juristin hinzu und darf auf Neugier und Beachtung hoffen. Denn die Scharia, gültiges Recht für Millionen Muslime, erregt Gemüter in Politik und Volk. Und der Professor, Mathias Rohe, hat das Reizthema erstmals großflächig mit der Elle westlicher Wissenschaft vermessen. Die Scharia, eine „Kulturleistung, die man anerkennen muss“, gilt auch in Deutschland, folgert er. Womit er bei „Islamkritikern“ aneckt, zu denen auch Seyran Ates gezählt wird, die Berliner Anwältin mit türkischen Wurzeln, die für ihre Absage an die Multikultigesellschaft Applaus bekommen hatte.

Doch wer steht hier gegeneinander? Ein Schwärmer gegen eine politische Realistin? Ein Aufklärer gegen eine Ideologin? Ein schariabegünstigter Mann gegen eine schariaentrechtete Frau? „Die Scharia kommt nicht durch die Hintertür in die deutsche Rechtsordnung – sie kann durch die Vordertür herein“, sagt Rohe. Kein Widerspruch. Stattdessen sagt Ates: „Demokratie und Islam sind vereinbar – keine Diskussion.“ Oder: „In Saudi- Arabien bewegt sich was.“

Eine Kontroverse funktioniert nicht mehr: Junge Türkinnen kombinieren Kopftuch mit nabelfrei. Musliminnen pilgern verhüllt zu Fachbuchpräsentationen statt in die Moschee. Berliner Bäder erlauben Burkinis, der saudische König schenkt dem Papst ein Schwert, obwohl der Koran dies verbietet. Und Rohe und Ates streiten nicht. Sie reden, wie man redet: Miteinander, übereinander, aneinander vorbei. „Scharia und deutsches Recht sind oft deckungsgleich“, sagt Rohe. „Junge Musliminnen sind sehr sexualisiert“, sagt Ates. „Das Problem ist das patriarchalische Verständnis der Geschlechterrollen“, sagt Rohe. „Es geht vor allem um Identität“, sagt Ates. „In Großbritannien hat man die Dinge zu sehr laufen lassen“, sagt Rohe.

Überlegenheitsgefühle, wie sie für viele Debatten um Integration und Islam prägend sind, lassen beide beiseite; Demut fördert Dialoge. Ates hat Erfahrung, sie hat vieles erlebt, und Rohe hat recht, er hat es aufgeschrieben. Gemeinsam verabschieden sie die Scharia als Schlagwort. Das schärft den Blick für Fehler wie in England, wo man Scheidungsfolgen Schiedsgerichten überlässt statt der staatlichen Justiz. Sind sie muslimisch, haben Frauen kaum Chancen, während das deutsche Recht schariageprägtes Recht akzeptiert – aber eben auch kontrolliert.

Das Thema bleibt, doch die Begriffe, scheint es, ändern sich: Muslime müssen sich nicht mehr anpassen, aber Anschluss suchen; unser Recht mit ihren Methoden begründen lernen. „Allahu alam“, Gott weiß es besser, lässt der Christ Rohe sein Buch enden. „Aus den Suren des Korans kann man die Menschenwürde herleiten“, ist er überzeugt. Ein Job für Theologen. Seinen hat er getan.

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