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Linker Saalverweis: Lammert sieht rot

Erst wurden die Abgeordneten der Linken während der Afghanistan-Debatte des Saales verwiesen, dann durften sie doch mit abstimmen. Was war da im Bundestag los?

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Christine Buchholz, Bundestagsabgeordnete der Linken, stand am Rednerpult und berichtete von ihrer Begegnung mit den Angehörigen von Opfern des Luftangriffes in Kundus. Eine Frau ohne Kinder, eine Familie ohne Enkel – wo sei da der „Sinn des Krieges“, fragte sie. Das war offenbar das Signal für ihre Fraktionskollegen. Zahlreiche Linken-Abgeordnete hielten weiße Schilder mit den Namen von Getöteten hoch, die an Todesanzeigen erinnerten. In der Mitte prangte ein Transparent mit dem Datum: „4. 9. 2009“. Eine plakative Erinnerung an die bis zu 142 Menschen, die damals bei dem Nato-Angriff auf zwei Tanklastzüge in Nordafghanistan ums Leben kamen. Bundestagspräsident Norbert Lammert forderte die Protestierer vergeblich auf, die Schilder zu entfernen. Danach schloss er sie von der Sitzung aus. Daraufhin verließen die rund 70 Fraktionsmitglieder der Linkspartei komplett den Saal.

Wie begründete Lammert den Ausschluss?

Lammert verwies auf das Verbot, im Plenum zu demonstrieren und erinnerte daran, „dass ein deutsches Parlament an dem leichtfertigen Umgang mit den selbst gesetzten Regeln bereits einmal gescheitert ist“. Im März 2009 habe sich der Ältestenrat darauf verständigt, dass solche Aktionen ein „grober Verstoß gegen die parlamentarischen Sitten“ seien. Dem habe damals, so betonte Lammert, auch die Parlamentarische Geschäftsführerin der Linken, Dagmar Enkelmann, zugestimmt. Der Präsident nannte den Ausschluss „alternativlos“, betonte aber, dass dieser nicht die komplette Fraktion, sondern nur die Protestteilnehmer betreffe. Dennoch zog die komplette Fraktion aus.

Was wäre passiert, wenn die Abgeordneten den Saal nicht verlassen hätten?

Die Saaldiener wirkten ratlos, als die Störer zunächst nicht reagierten. Einige seien „durchaus gewillt gewesen, sich heraustragen zu lassen“, hieß es später unter Beteiligten. Laut Geschäftsordnung haben ausgeschlossene Parlamentarier „den Sitzungssaal unverzüglich zu verlassen“. Wenn sie das nicht tun, kann ihnen der Präsident mit längerem Ausschluss drohen – bis zu 30 Sitzungstage. Und das beträfe nicht nur das Plenum, sondern auch die Ausschüsse. Der Fall, dass Störer dennoch sitzen bleiben, ist per Geschäftsordnung nicht geregelt. „Das gab es noch nie“, sagte ein Bundestagssprecher. Anzunehmen wäre, dass der Präsident die Sitzung dann unterbrechen und sich mit Parlamentarischen Geschäftsführern oder Ältestenrat besprechen würde.

Wieso haben die Linken

auf diese Weise protestiert?

Sie wollten erzwingen, dass der Bundestag für ein „würdiges Gedenken an die Kriegsopfer“ sorgt, wie es Fraktionsvize Gesine Lötzsch formulierte. Und die Bundesregierung möglichst gleich mit. Da das Parlament entsprechenden Forderungen nicht nachgekommen sei, hätten die Abgeordneten nun selbst „einen kleinen Akt des Gedenkens vollzogen“. Die konkrete Umsetzung mit den Todesanzeigen hatten sich die Außenpolitiker ausgedacht. Vertreter verschiedener Parteiflügel betonten, die Aktion sei aus der „Mitte der Fraktion“ heraus initiiert worden. Es habe „keinen Rädelsführer“ gegeben, versicherte die Abgeordnete Heike Hänsel.

Der frühere Grünen-Abgeordnete Winfried Nachtwei kritisierte die Einseitigkeit der Aktion. „Für die Glaubwürdigkeit der Linken wäre es besser, wenn sie nicht nur derjenigen Opfer gedächte, die ihr politisch in den Kram passen“, sagte er dem Tagesspiegel. Dem Bundestag stünde es gut an, aller Opfer zu gedenken: „Den eigenen, den selbst bewirkten – und den vielen durch aufständische Taliban massakrierten.“

Wieso durften die Ausgeschlossenen

dann doch mit abstimmen?

Normalerweise wäre es ihnen untersagt gewesen. Mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit beschloss der Bundestag jedoch, es ihnen zu ermöglichen. Lammert hatte dies empfohlen – wohlwissend, dass es kein gutes Signal gewesen wäre, wenn man es den Gegnern des Afghanistan-Einsatzes verwehrt hätte, mit Nein zu stimmen. Es sei gut, dass man den ganz großen Eklat vermieden habe, fand auch Nachtwei: „Es wäre schlimm gewesen, wenn wegen eines Regelverstoßes ausgerechnet diejenigen von der Abstimmung über das Afghanistan-Mandat ausgeschlossen worden wären, die als einzige dagegen sind und für sich in Anspruch nehmen können, damit in größerer Übereinstimmung mit der Mehrheitsmeinung hierzulande zu sein als die anderen im Bundestag vertretenen Fraktionen.“

Gab es bereits vergleichbare Ausschlüsse aus dem Bundestag?

Ja, aber nie in der Größenordnung. Seit 1949 gab es 23 Ausschlüsse, die meisten in der ersten Legislaturperiode. 17 Abgeordnete mussten damals pausieren, darunter die SPD-Politiker Kurt Schumacher und Herbert Wehner. 1984 traf es den Grünen Joschka Fischer. Seit 20 Jahren wurde kein Abgeordneter mehr des Saales verwiesen. Linken-Proteste im Bundestag dagegen gab es in den vergangenen Jahren zuhauf. Im Juni 2006 kassierte Fraktionsvize Klaus Ernst einen Ordnungsruf, weil er auf der Regierungsbank eine Fußfessel abgelegt hatte – aus Protest gegen Auflagen für Arbeitslose. Mitte 2007 entrollten Linken-Politiker ein Plakat gegen den G-8-Gipfel. Und Anfang 2008 schmückten sich einige mit Pinocchio-Nasen – um gegen Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) und dessen Jugendgewaltkampagne zu protestieren.

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