zum Hauptinhalt
Richter_breidling_dpa

© dpa

Sauerland-Prozess: Richter Zweifellos

Hart, kompromisslos, nüchtern - Ottmar Breidling ist das Gesicht des Rechtsstaats im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus. Und er genießt selbst bei Angeklagten Respekt. So wie jetzt bei seinem größten Prozess: Nun sprach er im Verfahren gegen die Sauerlandgruppe das Urteil.

Von Frank Jansen

Er ist klein, man sieht ihn kaum hinter dem aufgeklappten Laptop. Mehr als 100 Zuhörer und Prozessbeteiligte blicken am Donnerstag auf den Mann, der beinahe mechanisch ein Urteil erklärt, das in die Kriminalgeschichte der Bundesrepublik eingehen wird. Ottmar Breidling erklärt, „dass wir es mit einem ungeheuren Tatgeschehen zu tun haben“, kein Innehalten, der Ton bleibt nüchtern, „und zwar der Verabredung zu Sprengstoffanschlägen mit dem Ziel der Tötung von mindestens 150 amerikanischen Militärangehörigen“, kein Punkt, keine Pause, „einen Anschlag von einem solchen Ausmaß hat es in Deutschland noch nie gegeben und auch nicht die Verabredung zu einem solchen Anschlag“. Die Stimme ist unverändert geschäftsmäßig. Als rede ein leicht näselnder Roboter. In der Robe des Vorsitzenden Richters des 6. Strafsenats am Oberlandesgericht Düsseldorf.

Der strikte Verzicht auf bebende Töne und hörbares Luftholen steigert noch die Wucht der schaurigen Worte. Die Coolness lädt das Drama auf, in passender Kulisse. Eine große hohe Halle im Hochsicherheitsbunker des Oberlandesgerichts, auf dem Dach können Hubschrauber landen. Viel Beton, große Trennscheiben, endlose Regale mit Aktenordnern. Nur durch schießschartenartige Fenster ist etwas Himmel zu sehen. Der moderne deutsche Rechtsstaat inszeniert sich ohne Prunk, ohne Pathos, selbst die gewollte Scheußlichkeit des Justizmonstrums in Stammheim ist überwunden. In Düsseldorf ist der Beton mild gestrichen, hellgrau. Ratio statt Rache. Im Kampf gegen den monströs irrationalen Terrorismus. Den letzten Akt im Prozess gegen die vier jungen Terroristen der Sauerlandgruppe, die mit Autobomben einen zweites 9/11 anrichten wollten, hätte Stanley Kubrick inszeniert haben können.

Auch das Urteil kündet von kühler Härte: Zwölf Jahre für Fritz Gelowicz, den Anführer der Sauerlandgruppe, der am letzten Tag des Prozesses gelangweilt blickt und manchmal den Kopf schüttelt. Obwohl er drei Jahre weniger bekommen hat als die mögliche Höchststrafe, weil Gelowicz wie seine Kumpane alles gestanden hat, was zu gestehen war. So wie Daniel Schneider, der bei der spektakulären Festnahme im September 2007 im sauerländischen Medebach-Oberschledorn beinahe einen Polizisten erschossen hätte. Zwölf Jahre auch für Schneider. Als Breidling das Urteil begründet, blickt Schneider starr vor sich hin, zupft an seinem Bart. Er ist in diesem Prozess ein anderer geworden. Wie vielleicht auch Atilla Selek, der aus der Türkei die meist kaum brauchbaren Zünder für die Sprengsätze besorgt hatte und jetzt mit fünf Jahren Haft davon kommt. Selek hält lange die rechte Hand ans Kinn und blickt stumm auf Breidling. Der vierte Mann, Adem Yilmaz, kommentiert elf Jahre Haft mit Grinsen. Der Türke dreht sich zu Gelowicz, hält die Hände vor die Augen, er kaspert wie seit Beginn des Prozesses. Yilmaz will das alles nicht hören, was Breidling sagt. Aber er muss. Keine Eskapaden möglich. Dieser Richter lässt bis zur letzten Sekunde nicht den geringsten Zweifel zu, die Verhandlung unter Kontrolle zu haben und sich keinerlei Respektlosigkeit bieten zu lassen.

Ottmar Breidling würde sicher bestreiten, er trete hier als Hauptdarsteller auf. Doch spätestens seit diesem Prozess ist der Vorsitzende Richter des 6. Strafsenats das Gesicht des Rechtsstaats im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus. Das haben die Angeklagten gespürt und sie haben sich, wenn auch widerwillig, dieser Autorität gebeugt. Anfang Juni 2009, der Prozess war erst sechs Wochen alt, hat Adem Yilmaz kapituliert. Der Türke mit dem wilden schwarzen Vollbart, der zu Beginn der Hauptverhandlung den Rebellen mimte und sich weigerte, die Häkelmütze abzunehmen und dafür von Breidling mit mehreren Tagen Haft bestraft wurde, sah plötzlich ein: Der Richter sei „ein richtiger Profi“. Im Gefängnis in Wupertal sagte er seiner Familie, Breidling habe den Prozess im Griff und sei so gut vorbereitet, dass ein hartes Urteil zu befürchten sei, „die volle Packung“. Breidling hatte gleich am Anfang den vier Angeklagten eine harte Ansage verpasst: Strafrabatt sei nur zu erwarten, wenn ehrlich und umfassend gestanden werde, „mit ungezinkten Karten“.

Als Yilmaz einknickte, gaben auch die anderen auf. Fritz Gelowicz, der Kopf der Gruppe, berichtete in den Vernehmungen beim Bundeskriminalamt, für die der Prozess wochenlang unterbrochen wurde, detailliert über die geplanten Anschläge. Über die Reise zur Islamischen Dschihad Union in Wasiristan, über den Auftrag zum Anschlag in Deutschland, über den Kauf der Fässer mit Wasserstoffperoxid, über den Hass auf Amerikaner. Die anderen taten es dem Anführer gleich. Der größte Terrorprozess in Deutschland seit dem Ende der Roten Armee Fraktion nahm eine nahezu unglaubliche Wende. Bei einem anderen Vorsitzenden Richter wäre das kaum denkbar gewesen. Und dann, wie eine letzte Bestätigung, nehmen Adem Yilmaz, Daniel Schneider und Atilla Selek das Urteil des 6. Strafsenats noch im Gerichtssaal an.

Ottmar Breidling hat der islamistischen Terrorszene eine schwere Niederlage beigebracht. Mit seiner Energie, seiner Härte und seiner Hartnäckigkeit, vielleicht auch seinem schauspielerischen Talent. Und mit seiner immensen Erfahrung. Kein Strafsenat in Deutschland hat mehr Verfahren gegen islamistische Terroristen geführt. Die Sauerlandgruppe, der Kofferbomber Yussef al Hajdib, Al-Qaida-Leute, Kämpfer von Al Tawhid – sie alle haben vor Breidling gestanden. Sie sahen ein strenges Antlitz, in dem die Strapazen eines auf Höchstleistung programmierten Richterlebens Spuren hinterlassen haben. Von den Nasenflügeln ziehen sich tiefe Furchen zu den Mundwinkeln hinunter. Der Blick durch die randlose Brille wirkt oft überanstrengt, beinahe leidend. Breidling zwingt seine Physis, ein Großverfahren nach dem anderen zu verkraften. Das Urteil gegen die Sauerlandgruppe war vermutlich für ihn, im Februar wurde er 63 Jahre alt, sein letzter herausragender Auftritt. Und der größte seiner Laufbahn.

Breidling hat allerdings eine ganze Serie aufsehenerregender Verfahren bearbeitet, auch jenseits der Straftaten islamistischer Terroristen. Der als „Kalif von Köln“ berüchtigte Metin Kaplan, Funktionäre der in Deutschland verbotenen kurdischen Organisation PKK, zwei Mitglieder der linksextremen Terrorgruppe „Antiimperialistische Zellen“ – Breidling hat sie alle erlebt, hat die meisten hart angefasst, hat ihnen langjährige Strafen verkündet. Rigoros, aber nicht unfair. Ein zweiter Richter Gnadenlos, ein Rechtspopulist wie einst Ronald Barnabas Schill, ist Breidling nicht. Seine Leidenschaft gilt dem Recht, nicht dem Ressentiment.

Justizkreise nennen ein Beispiel mit pittoresker Pointe. Breidling beteiligte sich an den Planungen zum Bau des hochmodernen Hochsicherheitstrakts im Kapellweg, der 2004 bezogen wurde. Und er sei es gewesen, erzählen Insider, der dafür sorgte, dass bei den Herrentoiletten vier Fußwaschbecken installiert wurden. Damit sich muslimische Besucher vor einem Gebet nicht mehr genötigt fühlen, die Füße in einer Kloschüssel zu waschen.

Im November 1996 hat Breidling den 6. Strafsenat übernommen. Bereits seit 1987 ist der gebürtige Bremer, mit einer Unterbrechung durch ein Gastspiel in Brandenburg, am Düsseldorfer Oberlandesgericht tätig. Der 6. Strafsenat befasst sich mit größeren Staatsschutzdelikten, bis hin zum Terrorismus. Und nicht nur das. Unter Breidling wurde der Senat auch eine Art politische Instanz. Die Regierungen und Parlamenten herbe Lektionen erteilt.

Etwa beim Thema Ausländerrecht. Im Oktober 2000 monierte Breidling im Verfahren gegen den „Kalifen von Köln“ und zwei Mitangeklagte, ein „lasches oder überängstliches Vorgehen gegen ausländische Gruppierungen oder Mitbürger, die sich bewusst außerhalb unserer Rechtsordnung stellen, schürt Unmut und ist außerdem geeignet, in geneigten Bevölkerungskreisen Vorbehalte gegen Ausländer zu stärken oder gar Fremdenfeindlichkeit zu befördern“. Fünf Jahre später wetterte Breidling im Urteil gegen vier Araber aus dem Spektrum der Terrorbewegung Al Tawhid, die Angeklagten hätten „frühzeitig abgeschoben werden müssen, so dass es zu den Taten erst gar nicht hätte kommen können“. Dann wäre Deutschland „nicht nur vor einer ernst zu nehmenden Anschlagsgefahr verschont geblieben“, man hätte sich auch „zwei überaus teure Strafverfahren einschließlich der Kosten für die Ermittlungen sparen können“.

Zuvor hatte Breidling in einem abgetrennten Verfahren gegen einen reuigen Al-Tawhid-Mann die Politik angeherrscht, sie solle die 1999 ausgelaufene Kronzeugenregelung wieder einführen. „Die fehlende Möglichkeit der gesetzlich abgesicherten Zusage einer Vergünstigung erschwert, ja behindert die Aufklärung begangener Straftaten und verhindert die rechtzeitige Aufdeckung künftiger terroristischer Akte“, mahnte Breidling. Möglicherweise wurden seine Worte gehört. Im vergangenen Jahr trat eine neue Kronzeugenregelung in Kraft.

In Düsseldorfer Justizkreisen gelten Breidlings Kassandrarufe vor großem Publikum als eher unangebracht. „Die meisten halten das für überflüssig“, heißt es. Ärger gebe es jedoch keinen, „man nimmt es zur Kenntnis, das war’s dann auch“. Breidling nahezulegen, seine rechtspolitischen Einwürfe auf Texte für Fachzeitschriften zu beschränken, sei aussichtslos. Nicht nur wegen der richterlichen Unabhängigkeit. Ottmar Breidling sei „ein unermüdlicher Streiter für den Rechtsstaat“, sagt einer, der ihn länger kennt. Aufzuhalten sei er nicht.

Warum? Was treibt ihn an? „Er ist durchdrungen von der Materie der Staatsschutzprozesse“, heißt es, „er glaubt, dass solche Verfahren bei ihm und seiner Mannschaft am besten aufgehoben sind“. Breidling halte sich, sagt ein anderer, der auch namenlos bleiben möchte, „nicht nur für einen sehr guten, sondern für den Strafrechtler schlechthin“. Und er hole gern solche Prozesse nach Düsseldorf, „wo andere sagen würden, das kann ein anderes Gericht machen, das bindet zuviel Arbeitskraft“.

Jetzt allerdings könnte Breidling, nach der Bewältigung des spektakulären Verfahrens gegen die Sauerlandgruppe und zwei Jahre vor der Pensionierung, etwas kürzer treten. Aber er wäre dann nicht mehr Ottmar Breidling.

Sein nächster Prozess beginnt schon am kommenden Donnerstag. Da müssen sich drei türkische Linksextremisten verantworten, die Geld für den bewaffneten Kampf der Politsekte DHKP-C („Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-front“) gesammelt haben sollen. Kleine Fische im Vergleich zu islamistischen Terroristen, die zahllose Menschen in die Luft sprengen wollten. Nur wenige Journalisten werden sich die Hauptverhandlung gegen die drei Türken antun, die große Bühne ist das Verfahren für Breidling nicht. Aber es passt zu ihm, dass er hochtourig weitermacht und sich nicht einmal eine dreiwöchige Auszeit auf den Kanaren gönnt. Obwohl im neuen Verfahren wieder eine umfangreiche Beweisaufnahme zu erwarten ist. Breidling hat für den Prozess gegen die Türken 54 Verhandlungstage angesetzt. Er sei „ungemein fleißig“, heißt es in Justizkreisen, „er ist auch häufig an Wochenenden im Gericht“. Als Breidling beim Golfspielen Probleme mit einer Schulter bekam, habe er sich trotz beträchtlicher Schmerzen „in den Dienst geschleppt“. Bis kurz vor der Operation.

So einer wird im eigenen Haus nicht heiß geliebt, aber er genießt enormen Respekt. Zumal Breidling trotz seines Sendungsbewusstseins als unprätentiös gilt und ein unauffälliges Privatleben führt. Er fahre „seit Jahr und Tag dasselbe ältere Auto“, heißt es. Und das Gericht wisse, was es an Ottmar Breidling habe. „Bei dem läuft kein Verfahren aus dem Ruder, da sind keine Skandale zu befürchten“, sagt einer. Außerhalb ist noch größeres Lob zu hören. Für die Bundesanwaltschaft ist der 6. Strafsenat „von erster Güte“. In Düsseldof sei undenkbar, dass sich der Rechtsstaat blamiere, wie bei den chaotischen Prozessen am Hamburger Oberlandesgericht gegen die Terrorverdächtigen Mounir al Motassadeq und Abdelghani Mzoudi.

Verteidiger hingegen äußern sich eher gedämpft. Breidling habe ein „sehr ausgeprägtes Selbstbewusstsein“, etwas hämisch wird dann von seiner Niederlage in einem Al-Qaida-Verfahren erzählt. Was die Anwälte nicht erwähnen: Es war der einzige Rückschlag, den Breidling als Vorsitzender Richter des 6. Strafsenats in mehr als 13 Jahren hinnehmen musste.

Ende 2007 hatten Breidling und seine Kollegen drei Männer, die mit groß angelegtem Versicherungsbetrug Gelder für den heiligen Krieg besorgen wollten, zu hohen Strafen verurteilt. Der Bundesgerichtshof gab Mitte 2009 im Fall eines Angeklagten der Revision statt. Vermutlich handele es sich nur um einen Unterstützer von Al Qaida und nicht, wie von Breidlings Senat festgestellt, um ein Mitglied der Terrororganisation, meinten die Richter in Karlsruhe. „Das hat Breidling ganz sicher gewurmt“, sagt ein Anwalt, „ausgerechnet in der Endphase seiner Laufbahn passiert ihm so was“.

Zumal Breidling das Urteil in jenem Verfahren auch mit einem politischen Kommentar garniert hatte. Er kritisierte, der nur eingeschränkt mögliche große Lauschangriff auf die Wohnung eines Verdächtigen sei „ein eher stumpfes Schwert bei den Ermittlungen in Fällen schwerster Kriminalität“. Bundesverfassungsgericht und Gesetzgeber sollten darüber nachdenken. Doch in diesem Fall sind Breidlings Worte verhallt.

Vielleicht haben die Adressaten seiner Mahnungen auch allmählich genug von diesem Düsseldorfer Richter, der ihnen regelmäßig Ratschläge erteilt. Und es könnte sein, dass Breidling sich mit seinen Lektionen einen weiteren Aufstieg verbaut hat. Er soll Ambitionen gehegt haben, im Frühjahr 2006 Nachfolger von Kay Nehm im Amt des Generalbundesanwalts zu werden, wird in Justizkreisen kolportiert. Es wäre für Breidling die Paraderolle gewesen. Chefankläger der Bundesrepublik Deutschland, die höchste Autorität der Justiz. Doch an die Spitze der Bundesanwaltschaft wurde Monika Harms berufen. Ottmar Breidling blieb in Düsseldorf. Und hier nun erst recht sich selber treu.

Natürlich auch beim Urteil am Donnerstag. Dass die Beweislage im Fall der Sauerlandgruppe so erdrückend war, habe auch an den Erkenntnissen aus der Wohnraumüberwachung, also dem großen Lauschangriff, gelegen. “Und ganz vorrangig“ an den Informationen aus der Überwachung der Gespräche, die Gelowicz, Yilmau und Schneider in ihren Mietwagen führten, sagt Breidling. Hört man genau hin, ist der Ton jetzt sogar eine Nuance höher. Doch den Blick vom Blatt hebt Breidling nicht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false