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Politik: Die Rechnung geht noch nicht auf

FDP-Gesundheitsminister Bahr verschiebt die Pflegereform – und streitet mit der Union über die Gründe

Berlin - Die Koalition hat die versprochene Pflegereform ein weiteres Mal verschoben. Entgegen seinen Ankündigungen will Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) nun auch in dieser Woche noch keine Reformeckpunkte vorlegen. Die Schuld für den Rückzieher gab er der Union. CDU und CSU hätten offensichtlich noch Beratungsbedarf, sagte Bahr.

Tatsächlich hatten die Christsozialen erst vor einer Woche ein eigenes Pflegekonzept präsentiert, das alle bisherigen Koalitionsabsprachen wieder infrage stellte. Um keine Beiträge erhöhen zu müssen, sollte die Betreuung Demenzkranker nach ihrenPlänen künftig aus Steuern finanziert werden – gemeinsam mit der Eingliederungshilfe für Behinderte. Und vom vereinbarten Aufbau eines ergänzenden Kapitalstocks als Demografiereserve wollte die CSU gar nichts mehr wissen.

Der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn wies die Schuldzuweisung dennoch zurück. Alle drei Parteien müssten „ihre Maximalpositionen verlassen“, forderte der CDU-Politiker. Die ganze Koalition sei herausgefordert, in Sachen Pflege endlich „zu einer einheitlichen Linie zu finden“.

Vorschläge dafür lieferte Spahn gleich mit. Um die Beitragszahler möglichst wenig zu belasten, schlug er einen Verschiebebahnhof vor: Die medizinische Behandlungspflege in den Heimen solle, so forderte er, künftig von den Kranken- und nicht mehr von den Pflegekassen finanziert werden. Auf diese Weise würden 1,6 Milliarden Euro frei. Mit einer bescheidenen Beitragserhöhung um 0,05 Prozentpunkte komme man auf zwei Milliarden Euro, mit denen sich einiges machen lasse. Eine Milliarde könne in die bessere Versorgung von Demenzkranken fließen, die zweite käme pflegenden Angehörigen zugute – etwa in Form von mehr Pflegegeld, Rehabilitation und zur Unterstützung von Selbsthilfe- und Wohngruppen.

Als Argument für die Umverteilung dienen Spahn die prognostizierten Überschüsse im Fonds der gesetzlichen Krankenversicherung. Allerdings würde das Geld dann nur für eine Mini-Reform reichen. Allein für die versprochene Änderung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs im Sinne von Demenzkranken wurden bis zu fünf Milliarden Euro veranschlagt.

Für den anvisierten Kapitalstock hat Spahn ebenfalls eine Idee: den „Zukunftsfünfer“. Wenn jeder Versicherte pro Monat pauschal fünf Euro einzahlen würde, ließe sich damit dank Zins und Zinseszins für die geburtenstarken Jahrgänge eine kollektive Rücklage von 60 bis 80 Milliarden Euro aufbauen. Ergänzend sollte die Pflegevorsorge stärker bei privaten Rentenzusatzversicherungen berücksichtigt werden. Dafür könne man etwa die Fördersätze für Riester-Rentner erhöhen, meint Spahn. „Wer mehr Geld im Alter hat, hat auch mehr für die Pflege.“

Mit seiner Pauschale stößt Spahn allerdings bereits in der eigenen Partei auf Widerstand. Erst vor kurzem hatte Fraktionschef Volker Kauder (CDU) klargestellt, dass er sich eine Demografiereserve nur vorstellen könne, wenn sie von den Arbeitgebern mitfinanziert wird. Teile der FDP wiederum beharren noch immer auf einer individualisierten Pflichtvorsorge.

Aus den Ländern kommen weitere Vorschläge. Niedersachsens Sozialministerin Aygül Özkan (CDU) etwa will sich für die Pflege bei der Rentenversicherung bedienen. Wenn man die vorgesehene Beitragssenkung um 0,3 Punkte geringer ausfallen lasse, würden drei Milliarden Euro frei, rechnet sie vor: 800 Millionen für Demenzkranke, je 400 Millionen für häusliche Pflege, Leistungsdynamisierung und die Ausbildung von Pflegekräften. Und mit einer weiteren Milliarde könne man die Demografiereserve aufbauen.

Die Sozialverbände empfinden die Kakophonie zunehmend als unerträglich. Man brauche eine handlungsfähige Regierung und „keine Streithähne, die sich täglich neue Konzepte öffentlich um die Ohren hauen“, heißt es beim Paritätischen Wohlfahrtsverband. Und die Hospizstiftung ärgert sich über „würdelose Hinhaltetaktik“, mit der die Regierung „den letzten Rest ihrer Glaubwürdigkeit“ verspiele.

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